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Hoxha stürzt posthum vom Sockel

■ Massendemos fordern den Rücktritt der Regierung/ Hungerstreik der Studenten weitet sich aus

Tirana(apd/taz) — Daß Denkmäler in diesem Jahrhundert den Tod des Gefeierten nur wenig überdauern, wurde ein weiteres Mal gestern im albanischen Tirana offenbar. Die zehn Meter hohe Statue des Staats-Neubegründers Enver Hoxha vor dem Nationalmuseum vor dem Skanderbeg- Platz konnte der Wut der Demonstranten nicht lange widerstehen. 1.000 Umstürzler, angefeuert von weiteren 4.000 Gesinnungsfreunden, zerrten — angeblich mit bloßen Händen — den Bronzegötzen vom Sockel. Die zum Schutz der Statue aufgebotenen 500 Polizisten schloßen sich den Demonstranten an, nachdem ihre Absperrungen durchbrochen waren und Schüsse in die Luft nichts gefruchtet hatten

Bis zu 100.000 Demonstranten forderten unterdessen auf dem drei Kilometer südöstlich gelegenen Universitätsgelände den Rücktritt der realsozialistischen Regierung. Vor dem Rundfunkgebäude wurden starke Sicherheitskräfte zusammengezogen. Erst am 21. Dezember hatte das Regime als Beschwichtigungsgeste die „zentrale“ Stalin- Statue in Tirana entfernen lassen.

Der Sturz der Hoxha-Statue folgte einem 15tägigen Vorlesungsboykott von Studenten und Dozenten, die die Umbenennung der nach Hoxha benannten Universität, neue Studienpläne und eine Verbesserung ihrer materiellen Situation gefordert hatten. In dieser Woche hatten die studentischen Proteste in einem Hungerstreik von 723 Studenten und Professoren eskaliert, nachdem Staats- und Parteichef Ramiz Alia die Forderungen der Studenten als „anarchisch“ zurückgewiesen und zu Ruhe und Eintracht aufgefordert hatte.

Auf dem Universitätsgelände hatte die Demonstration nach Augenzeugenberichten am Mittwoch erheblichen Zulauf erhalten, nachdem neu gebildete unabhängige Gewerkschaften am Vortag zu Streiks aufgerufen hatten. Daran beteiligten sich schätzungsweise 20.000 bis 100.000 Arbeiter und Angestellte darunter auch die Belegschaft eines Betriebs in Tirana, die benfalls den Ehrennamen Hoxha loswerden möchte. In den meisten Betrieben der Stadt habe die Arbeit geruht, hieß es in Tirana. Bei den Demonstrationen skandierte die Menge Sprechchöre wie „Hoxha-Hitler“. Außerdem sei es zu Bücherverbrennungen gekommen, wobei auch Werke Hoxhas in die Flammen geworfen worden seien.

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