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Marc Ribot & Rootless Cosmopolitains

Wer die jüngeren Platten des pianoklimpernden, versoffenen Bukowski-Charakterdarstellers Tom Waits kennt, der kennt auch Marc Ribot. Seine blechernen Gitarrentöne prasseln gleich einem Platzregen aufs Trommelfell ein und wirken wie Salz auf offenen Wunden. Töne, die malträtieren. Eine Folter in E-moll. Die Tonleiter angsttaumelnd hinaufgeklettert wie die letzten Stufen zum Schafott.

Marc Ribot ist ein Studiomusiker. Einer der wenigen mit eigenem Stil. Aber ein Stil, der von den nur denkbar unterschiedlichsten Leuten gemocht wird: von Elvis Costello bis hin zu John Lurie. Seine schneidende Gitarre scheppert und dröhnt aus dem abgefuckten New Yorker Mini- Jazz-Mekka, Knitting Factory, und sie windet sich an einer anderen Stelle lästiger als ein Magengeschwür durch zähe Filmsoundtracks (»No sense of crime« von Julie Jacobs oder »Mystery Train« von Lurie).

Der 37jährige aus New Jersey, der unlängst von einem amerikanischen Magazin zum Meister seines Instruments gewählt wurde, hat die kleinkarierten Abgrenzungsplänkeleien zwischen Jazz und Rock längst hinter sich gelassen: klassische haitianische Gitarre, SylJohnson-Soul oder FreeJazz — anything goes. Ein heimatloser Gitarrero, dessen Band, mit der er derzeit tourt, nicht zufällig den Namen Rootless Cosmopolitains trägt, und deren Zusammenkunft eher einer Brooklyner Streetgang denn einer disziplinierten Jazzcombo ähnelt.

Die »wurzellosen Kosmopoliten« — streng genommen ein Widerspruch in sich — kommen vom Verständnis den frühen Golden Palominos nahe, einer New Yorker Free-Funk-Formation, oft auch mit dem Attribut Fake- oder No Wave-Jazz belegt, zu der auch Arto Lindsay zählte. Rootless Cosmopolitains ist auch ein Ginsberg-Gedicht, und Lindsay behauptet, der Begriff gehe auf Stalins' Wunschvorstellung des modernen Menschen zurück: sich in allen Kulturen und Gesellschaften gleichermaßen zuhause fühlen.

Dieses Sich-frei-bewegen in allen Kulturen ist wiederum nichts anderes als ein Reflex der New Yorker Musikszene, die das natürlich gerne täte. Was aber beim Großteil dieser Szene bloßes Wunschdenken bleibt, scheint bei Ribot — auf einer Art tieferen Bewußtseinsebene als bei Elliot Sharp oder Sonny Sharrock — bereits Wirklichkeit geworden zu sein: »Das Verlangen, etwas Neues zu machen, ist zwar o.k., aber es ist ein akademisches... Diesem Verlangen traue ich nicht. Ich vertraue nur dem Verlangen, sich besser zu fühlen, es zumindest zu versuchen, sich gut zu fühlen. Und dann kann es passieren, daß man wirklich anders klingt.«

Marc Ribot & Rootless Cosmopolitains spielen um 22 Uhr im Quasimodo. Joseph Pichelmayer

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