Mit der WEU gegen künftige „Wüstenstürme“

Die Außen- und Verteidigungsminister der Westeuropäischen Union treffen sich heute in Paris/ WEU-Generalsekretär Eekelen will die WEU der EG annähern/ „In einem Jahr könnten die ersten gemeinsamen Mobilstreitkräfte einsetzbar sein“  ■ Aus Straßburg Michael Bullard

Schon mal von Willem van Eekelen gehört? – Nomen ist in diesem Fall nicht Omen, ganz im Gegenteil: Van Eekelen ist ein netter, älterer Herr, dem Großes bevorsteht. Schließlich leitet er die Geschäfte eines der aufstrebendsten Unternehmen Europas. Noch vor Jahresfrist als historisches Abfallprodukt belächelt, steht es heute im Rampenlicht des öffentlichen Interesses — sollte es zumindest, schließlich will WEU-Generalsekretär van Eekelen die Nato beerben. So unscheinbar wie der Name „Westeuropäische Union“ ist die ganze Organisation: Nicht einmal über ihren Standort herrscht Klarheit — London, Paris oder demnächst Brüssel. Die golfkriegsgepuschten Ambitionen sind nichtsdestotrotz atemberaubend: Die WEU soll die EG gegen künftige „Wüstenstürme“ wappnen, langfristig gar aus ihr eine von den Vereinigten Staaten unabhängige Militärmacht machen. Wie, das wollen die WEU-Außen- und Verteidigungsminister heute in Paris beraten.

„Die Leute reden immer von 1992, ich dagegen von 1994.“ Dies sei das wesentlich entscheidendere Datum, erklärt van Eekelen. Denn dann sollen die sowjetischen Truppen aus den mittelosteuropäischen Ländern abgezogen sein. Eine ganz neue Situation werde dann entstehen, schwärmt der ehemalige niederländische Verteidigungsminister, „alle unsere Kriegsszenarien wären dann für die Nato ,out of area‘“. Die stolze atlantische Allianz, unfähig, an den Brennpunkten des Weltgeschehens mitzumischen, weil durch antiquierte Verträge gebunden — eine Horrorvision für die Nato-Krieger. Van Eekelen wittert hier jedoch eine Chance, seine Organisation aus dem Windschatten des Superbündnisses zu manövrieren.

Eine Arbeitsteilung schlägt er deshalb vor: Die US-geführte Nato hält vertragsgemäß an der Doktrin „Verteidigung und Abschreckung“ fest und die sowjetischen Streitkräfte in Schach. Die WEU unter europäischer Leitung nimmt sich derweilen der „anderen Art von Szenarien“ an. Was er darunter versteht? „Dies könnten Szenarien in Osteuropa, aber vor allem golfähnliche Szenarien im außereuropäischen Mittelmeerraum sein.“ Um dieses Vorhaben politisch abzusichern, will der WEU-Generalsekretär seine Organisation der EG annähern. Unterstützt wird er dabei von den Außenministern der Bundesrepublik und Frankreichs, die erst Anfang letzter Woche eine Initiative mit gleichem Ziel gestartet hatten. Der Europäische Rat, wie sich die zwölf Staats- und Regierungschefs bei ihren halbjährlichen Gipfeltreffen nennen, soll in Zukunft die Leitlinien für die WEU ausgeben. Schließlich, so das wohlklingende Argument van Eekelens, ist „eine politische Union ohne eigene Sicherheitsdimension undenkbar“.

Daß sich gegen diese Idee nicht nur im Weißen Haus Widerstand regen würde, hat der Parkettkrieger vorausgesehen. Es handele sich lediglich um eine Verstärkung der atlantischen „Brückenfunktion“, beruhigt er mit diplomatischer Freundlichkeit, sozusagen um den Ausbau des „europäischen Pfeilers“ der Nato. In diesem noblen Haus hängt neuerdings der Hausfrieden schief. Generalsekretär Manfred Wörner unterstützt den Vorschlag seines Kollegen, weil er „für ein stärkeres Europa“ ist. Der US-Botschafter bei der Nato, William Taft, hingegen warnte, seine Regierung werde es nicht hinnehmen, wenn die Nato zu einer Schlichtungsstelle für US-europäische Differenzen „reduziert“ werden würde. Nicht akzeptieren wollen die Bush-Männer auch, daß der Nato-Oberkommandierende in Zukunft Europäer sein und gleichzeitig den WEU-Verbänden vorstehen soll. Schützenhilfe erhalten die US-Amerikaner von den Regierungen in London und Den Haag. Einen Ausbau der WEU zum europäischen Arm der Nato — okay, aber nur in enger Koordination mit den USA.

Deswegen lehnt der britische Außenminister Douglas Hurd zusammen mit seinem holländischen Kollegen auch die Idee van Eekelens ab, die WEU dem Europäischen Rat zu unterstellen. Dies ist in ihren Augen der erste Schritt dazu, die Nato zu entmachten und den von ihnen ausgemachten neutralistischen Tendenzen Europas Vorschub zu leisten. Wenn die WEU schon auf Kosten einer bestehenden Organisation aufgewertet werden müsse, so Hurd implizit, dann solle man sich doch an der Konferenz für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (KSZE) schadlos halten. Die WEU wäre besser beraten, wenn sie sich um Abrüstungsfragen, Waffenexportkontrollen und vertrauensbildende Maßnahmen kümmern sowie an UN-Friedensmissionen teilnehmen würde. Kommandostrukturen, Verteidigungsfragen sowie die Stationierung von Truppen sollten der Nato überlassen bleiben. Im Weißen Haus, wo diese Position favorisiert wird, denkt man deswegen an eine Änderung der Nato-Verträge, um die lästige „out of area“-Behinderung zu beseitigen.

Widerstände gegen van Eekelens Pläne kommen auch noch aus einer anderen Ecke: In der 1954 gegründeten WEU sind nur neun der zwölf EG-Mitglieder untergekommen. Das neutrale Irland, Dänemark und Griechenland blieben außen vor. Sie sind zwar mit Ausnahme Irlands Mitglied der Nato, haben jedoch Schwierigkeiten mit der Idee, daß der Europäische Rat Entscheidungen im Rahmen der WEU trifft, in der sie nicht Mitglied sind. Ähnlich geht es Norwegen, Island und der Türkei, die zwar in der Nato, aber weder in der WEU noch in der EG Mitglied sind. Für van Eekelen sind diese Sorgen allerdings kein Problem: Sie sollen alle einen besonderen Beobachterstatus bei der WEU erhalten. Ähnliches schwebt ihm auch für die osteuropäischen Staaten vor, da deren Bewerbung, bei der Nato Mitglied zu werden, keine Chance habe. Die sicherheitspolitischen Beziehungen zu Osteuropa befänden sich in einer „Grauzone“, die der WEU-Chef durch sogenannte „negative Sicherheitsstrukturen“ klären will. Darunter versteht er vertragliche Zusicherungen dieser Länder, daß „ihre Territorien niemals für aggressive Ziele gegen ihre Nachbarn benutzt“ werden. Im Gegenzug könnten „wir“, so van Eekelen großzügig, „eine Erklärung abgeben, daß wir ihre Unabhängigkeit und demokratischen Regierungen als vitale Elemente für die Stabilität des neuen Europas ansehen“.

Im Klartext: Für den Fall, daß die neuen Demokratien vor Aufständischen in die Knie gehen sollten, behält sich die EG-geführte WEU vor, mit ihren europäisierten Brigaden in der Grauzone zwischen Sowjetunion und EG einzugreifen. In einem Jahr könnten die ersten gemeinsamen „Mobilstreitkräfte“ einsetzbar sein, prophezeit der nette Herr mit dem schrecklichen Namen — Nomen ist eben doch Omen.