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Ketchupblut wie im Leben

■ Computeranimationen, Bewegungsstudien und Bilder aus dem Irak beim Videofilmfest

Es gibt verschiedene Gründe, weshalb man Filme für grundsätzlich interessanter halten kann als Bücher. Einer dieser Gründe ist die notwendige Zusammenarbeit: Selbst die Individualität des Autorenfilmers muß sich am Kollektiv der Mitarbeiter abarbeiten, der Individualnarzißmus dessen, der ganz besondere Filme machen möchte, wird so gebremst. Andere, im Videobereich noch entscheidendere Gründe, liegen in der fortgeschrittenen, relativ kostengünstigen und also demokratischen Technik, darin, daß die Ästhetik durch das technisch Machbare in großen Teilen vorgegeben ist und der größte Teil der Arbeit des Videofilmteams darin besteht, an der Technik zu arbeiten.

Zwischen Gelingen und Mißlingen gibt es eine immer kleinere Grenze; es gibt Videos, die einmal gesehen sofort wieder verschwinden, weil sie nur und nicht mehr als konventionell sind, es gibt andere, die schüchtern lächeln, bevor man sie wieder vergißt, es gibt welche, die in den Grenzen einer durch die Technik bestimmten strengen Ästhetik auffallen und sich im Kopf festsetzen.

Unter dem Motto Chaos, Myth and Dance stand das Videofilmfest in der Akademie der Künste am Dienstag abend. Mit ironischer Respektlosigkeit arbeiten sich die Choreographie-Videos The Myth of Modern Dance von Charles Atlas und The Ascetic of San Clemente and the Virgin Marie von M.Guerini und J.Gaudin an historischen und religiösen Themen ab. Dagegen sind die Videos Topic von P.Baes und S.Denizot und The wheel of life von Harry Cane hochästhetische und dichterische Visionen. Topic versammelt drei schwarzweiße Szenenbilder: Spaziergänge in leeren Orten, wo Einsamkeit und Traurigkeit vorherrschen; auf einem Friedhof, in einer wüsten Stadt, in Prag oder vor einer Fabrik. Lieder, von einer tiefen Stimme gesungen, begleiten herumstrolchende junge Leute. In Schwarzweißgrau spiegelt die Landschaft die Verwirrung der jungen Leute. In einem Kaleidoskop von Mauer, Straßen, Treppen, Brücke und Fabriken bewegen sich die schmalen Silhouetten kaum merklich oder heftig.

Harry Canes farbiges Video führt in eine ganz andere Kultur: die Welt der japanischen Tänzerinnen aus dem Butoh-Theater. Brian Enos Musik, der Tanz und der Raum schaffen eine langsame, beschauliche Atmosphäre. Dieses Video, das nur aus Dias besteht, spielt mit Kontrasten . Erleuchtete Körper bewegen sich auf schwarzem Hintergrund. Die freien langsamen Bewegungen der beiden dünnen Tänzerinnen werden durch weiße Bänder eingeschränkt. Weniger Erotik als eine feierliche Ruhe bestimmt den Tanz der nackten Körper zwischen Bewegung und Bewegungslosigkeit.

In den Computeranimationen, die am Sonntag und Dienstag im Hauptprogramm des Videofilmfests gezeigt wurden, ist der repräsentative Zusammenhalt mit der Wirklichkeit nicht mehr gegeben. Die »Helden« der Videotrickfilme sind Vater und Sohn Tischlampe (Luxo Jr. von John Lasseter), die übermütig oder den pubertären Übermut tadelnd drei Minuten lang ihren Schabernack treiben, sind Sporen, Keime, Samen auf intergalaktischen Fortpflanzungstrips (Panspermia von Karl Sims), sind Cornpops als böse Augen, die sich zwischen Werbespot und Cornpops essendem Super-Kid vor dem Fernseher vermischen, um gemeinsam — irgendwie — gegen metallene Riesenschaben zu kämpfen, wobei ziemlich viel Ketchupblut auf den Fernseher platscht (Grinning evil Death von Mike Mc Kenna/Bob Sabiston).

Der repräsentative Zusammenhalt mit der Wirklichkeit wird zerstückelt und verliert sich in Reihen, die auf partielle Wünsche deuten: In seiner Kompletten Geschichte des Körpers zerschnipselt Frants A. Pandal Photos und Filmsequenzen, die die Einheit repräsentieren wollen — Massenornamente des Faschismus, Porno- oder Gesundheitsfilme, Buchstaben und Bilder —, um sie im Rhythmus der Musik neu zusammenzufügen, übereinanderzulegen, als bewegte Collage auf- und abzubauen. Wo der Discjockey scratcht, sägt sich eine Frau in die Hand. Irgendwann beginnt das, unvermittelt hört es auf.

Zwei Enden hat das Videosystem: an dem einen steht die Technik, am anderen der offene Kanal, die journalistische Basisbewegung, oder der regionale Kampf der Gegenöffentlichkeit. Vorreiter dieser Gegenöffentlichkeit ist die 1971 von Jon Alpert gegründete New Yorker »Downtown Community Television Company«. Man versucht die Geschichte lokaler Gruppen und Ereignisse zu dokumentieren. Videos werden gedreht über chinesische oder puertoricanische Gruppen, über die Situation an Schulen oder Krankenhäusern in New York. In Zusammenarbeit mit lokalen Gruppen versucht man der Ausbeutung durch Bilder dadurch entgegenzuwirken, daß man sie den Gefilmten zeigt.

Nicht nur um die Basisarbeit zu finanzieren, arbeitet Jon Alpert auch für kommerzielle Fernsehgesellschaften. Als »free lance worker« nimmt er sich mehr Zeit für seine Filme, als es die hauptamtlichen Mitarbeiter der Fernsehgesellschaften tun können. In seinen Reportagen aus Vietnam, Kuba oder dem Irak filmt und befragt er vor allem die normalen Leute über ihren Alltag. Der offiziellen Geschichte versucht er, Geschichten entgegenzusetzen. Diese Geschichten entstehen in den Erzählungen der Menschen oder oft zwischen zwei Besuchen, wenn man die Leute, in Vietnam oder Nicaragua, wiedersieht, die man schon einmal erzählen hat lassen. Über das amerikanische Duzen kann man geteilter Meinung sein, wie auch darüber, daß Alpert fast jeden, mit dem er spricht, auch berührt. In jedem Fall scheint allerdings die gern propagierte These, daß die Kamera per se nicht nur symbolisch als Waffe oder als Kolonisationsinstrument funktioniert, falsch zu sein. Alpert bringt es auf die einfache Formel: Je wärmer es ist, desto begeisterter drängen sich die Leute zur Kamera. In kälteren Gegenden hätte man mehr Vorbehalte, gefilmt zu werden.

Überfüllt war der Kinosaal jedoch nicht deshalb, weil das Publikum ein so großes Interesse an den Möglichkeiten von Gegenöffentlichkeit hätte, sondern weil neue Bilder aus dem Irak angekündigt worden waren, die Alpert vor ein paar Tagen noch »geschossen« hatte und die die amerikanische Fernsehgesellschaft NBC bis jetzt noch nicht zeigen wollte. Wer viel Blut und verstümmelte Körper als vermeintlich adäquate Darstellungsform des Krieges erwartet hatte, sah sich jedoch getäuscht — die Bilder aus dem Irak, die zum Teil versteckt und unkontrolliert mit der kleinen Videokamera unbemerkt aus der Hüfte gefilmt worden sind, unterschieden sich nur unwesentlich von den »zensierten Bildern«, die wir kennen. Nur daß — wie im Roadmovie — ausgiebig auf den Fahrten zwischen zwei Orten gedreht wurde, daß Särge gefallener Soldaten zu sehen waren, daß die Frage, ob Babymilchfabrik oder nicht im Off-Kommentar offengehalten wurde, daß entsetzte Einwohner in Basra erzählen konnten, daß sie die Brücken, die mehrmals von alliierten Bomben knapp verfehlt wurden, am liebsten selber in die Luft jagen würden, damit das endlich aufhört; daß vielleicht eindringlicher als in anderen Berichten betont worden war, was der Zusammenbruch der Elektrizität und der Wasserversorgung für Auswirkungen hat.

Die Dramaturgie auch dieser Berichte über den Massenmord ist festgelegt. Am Ende steht der griffige Schlußsatz des Doktors in Basra — »Year after year more war — that's our fate« — oder: »This is sowieso for CNN in Bagdad«. Wer dagegen verlangt, daß die Bilder den Schrecken erfahrbar machen sollten, sollte daran denken, daß er in letzter Konsequenz verlangt, von den Bildern getötet zu werden. Die Funktionsweise des Mediums scheinen jedenfalls amerikanische Zuschauer besser verstanden zu haben. In Briefen an CNN verlangen sie eine stärkere Zensur, damit Saddam aus den Berichten keinerlei Hoffnung schöpfen könne. Andere meinten, unter Hinweis darauf, daß sie bei den irakischen Bildern keine offenen Wunden gesehen hätten, es könne sich beim gefilmten Blut der Opfer genausogut um Ketchup handeln. Hanh Trinh/Detlef Kuhlbrodt

VideoFest 91 noch bis 26. Februar in der Akademie der Künste am Robert-Koch-Platz 7, 1040 Berlin. Heute, 12 Uhr: TVideo 4-Symposion. Vertreter amerikanischer und französischer Fernsehstationen erläutern ihren spezifschen Umgang mit Video u.a.m.

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