: „Wir wollen die nicht hier haben“
Von der türkischen Bevölkerung abgeschirmt, verrichten bundesdeutsche Soldaten ihren Dienst im Südosten der Türkei/ Das Unbehagen der Abkommandierten ist mit Händen zu greifen/ Die schwierige Suche nach dem Sinn des Einsatzes ■ Aus Diyarbakir Lissy Schmidt
Zum ersten Mal werden Bundeswehrsoldaten an die „Front“ geschickt — eine Front, an der der Krieg noch nicht begonnen hat. Aber daß der Einsatz in der Türkei„nicht einfach ein Manöver ist“, das wissen die Soldaten vom Alpha-Jet-Geschwader aus Oldenburg und der Flugabwehrraketengruppe 42 Roland aus dem hessischen Schöneck.
Ungefähr 300 Bundeswehrsoldaten befinden sich zur Zeit auf der Basis Erhac in der Nähe der kurdischen Stadt Malatya, 60 weitere in Divarbakir. Das Kent-Hotel in Malatya, in dem das Erhac-Kontingent der Bundeswehr untergebracht worden ist, gehört mittlerweile zu den am schwersten bewachten Gebäuden der Türkei. Der Eingang wimmelt von Uniformierten, die Lobby von zivilen Sicherheitsbeamten.
Die „Jungs“ sind kaum recht in der Lage, den ungewöhnlichen Aufwand um ihre Anwesenheit zu erklären: „Man hat uns ja in der Bundesrepublik eingewiesen“, erklärt einer, „hier ist jederzeit mit terroristischen Anschlägen zu rechnen“. Von wem? „Kurdische Terroristen“ — Genaues weiß keiner zu berichten. Die Bundeswehrsoldaten leben abgeschirmt.
Ihr Weg führt morgens vom Hotel auf die nahegelegene Basis und abends wieder zurück ins Hotel. Um zum Abendessen gehen zu können, müssen sie sich in Ausgangslisten eintragen. „Wir sind doch als befreundete Soldaten hier“, entrutscht es nach dem dritten Bier einem der Rolandspezialisten: „Was soll denn der ganze Aufwand?“
Diese Frage wäre leichter zu beantworten, wenn den Soldaten der Kontakt mit der Bevölkerung erlaubt wäre. Doch schon die Frage, ob ihnen nicht bewußt sei, daß ihre Stationierung bei der Bevölkerung Unbehagen auslöst, bringt sie aus dem Gleichgewicht. Doch die Abkommandierten scheinen sich vor allem mit ihren eigenen Ängsten zu beschäftigen. „Fragen Sie uns bloß nicht schon wieder, ob wir Angst haben“, wehrt einer ab. Dann kommt ein langer Bericht über die familiären Probleme, die der „Fronteinsatz“ ausgelöst hat, die eigene Angst, die der Freundin und so weiter.
In die Dörfer um Malatya zu fahren ist ihnen verboten. Dort erinnern sich die Bewohner noch sehr genau an den letzten „Besuch“ deutscher Soldaten, im Rahmen eines AMF- Manövers 1987. Während des Manövers hat es brutale Razzien türkischer Soldaten in den Dörfern gegeben. „Durch das Manöver hatten sie Rückendeckung“, sagt ein alter kurdischer Mann in einem dieser Dörfer. „Die türkischen Soldaten brennen unsere Dörfer nieder, sie sind unsere Feinde“, mischt sich ein anderer ein, jetzt sind auch noch die Deutschen hier. Das bedeutet für uns eine noch größere Bedrohung. Wir wollen die nicht hier haben, wir brauchen sie nicht.“
Über solche Äußerungen zeigen sich die Soldaten im Kent-Hotel eher verstört. Sie seien doch nur hier, „weil das irgend jemand machen muß und wir doch keine Drückeberger sind“. Über die Frage der Notwendigkeit ihres Auftrags gibt es keine großen Diskussionen. Zwar räumen die meisten ein, daß „Saddam die Türkei wohl nicht überfallen wird; aber „wenn die Nato halt Flagge zeigen muß, dann sind wir dazu bereit“.
Da scheint es die knapp 400 Befehlsempfänger auch nicht weiter zu irritieren, daß ihre Anwesenheit noch von ganz anderer Seite kritisiert wird: „Sind dem Staatspräsidenten unsere türkischen Soldaten nicht gut genug, das Land zu verteidigen?“ äußerte sich ein Mitglied des türkischen Generalstabes vergangene Woche in einem Interview. Die Diskussion, ob es militärisch einen Sinn macht, Alpha-Jets 780 km von Bagdad zu stationieren und neben den Patriot-Raketen auch noch Rolands aufzubauen, dauert schon zwei Monate an.
So haben die deutschen, italienischen und belgischen Truppen zumindest dazu gedient, die — wegen seines Kriegskurses umstrittene — Position von Staatspräsident Özal zu stützen. Doch auch das scheint die bundesdeutschen Soldaten nicht sonderlich zu beschäftigen: „Wir können uns doch nicht mit jeder Einzelheit der türkischen Innenpolitik beschäftigen“, wehren sie ab. Sie wollen nicht auch noch dafür kritisiert werden, daß sie sich nicht, wie manche andere, vor ihrer „Pflicht gedrückt haben“. Doch auch bei den Verweigerern hätten in der Regel „familiäre Gründe eine größere Rolle gespielt als politische“.
Währenddessen wird in Ankara darüber verhandelt, ob Ausrüstung und Gerätschaften — alle aus Betänden der ehemaligen Nationalen Volksarmee — nach Beendigung des Golfkrieges an die Türkei übergeben werden. Außer den Roland-Raketen selber werden die Bundeswehrsoldaten wohl kaum etwas von ihrer Ausrüstung wieder mit zurücknehmen. Zelte, Container, Transporter, Laster, Funkeinrichtungen und anderes werden den türkischen Soldaten weiterhin zur Verfügung stehen — für einen Krieg, der lange vor der Golfkrise begonnen hat, und von dem die deutschen Soldaten mit enormen „Sicherheitsmaßnahmen ferngehalten“ werden.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen