: TV ist in, kritischer Journalismus ist out
■ Den Studenten in Madison imponiert Professionalität
Madison, Wisconsin (taz) — Bill ist durchaus für einen unverblümten Meinungsjournalismus, und Joe träumt davon, später einmal nach Südamerika zu gehen, um dort „von der Basis aus zu schreiben“. Den restlichen StudentInnen der Journalismus-Klasse an der Universität von Wisconsin in Madison schwebt dagegen eine traditionelle Karriere im Fernsehen vor; dem Medium, das sie zunächst heftig für seine mangelhafte Kriegsberichterstattung kritisieren.
„Furchtbar“, sagt Bill, dazu befragt, was er denn von der derzeitigen Aufgabenerfüllung seiner zukünftigen Kollegen hält, „das ist mir alles zu regierungstreu“. Lediglich die Printmedien, stimmt ihm da die 19jährige Pam zu, brächten so etwas wie eine verantwortliche Kriegsberichterstattung auf die Beine. Aber wer liest das schon?
Nur drei der 15 StudentInnen lesen regelmäßig eine nationale Tageszeitung. Der Rest geht gelegentlich mal in die Bibliothek, um die 'New York Times‘ oder die 'Chicago Tribune‘ durchzublättern. Kathleen, ihre Tutorin, hat den Versuch aufgegeben, die 'Washington Post‘ zu abonnieren. Sie kam hier in der Studentenstadt Madison, der Hauptstadt des Bundesstaats Wisconsin, mit dreitägiger Verspätung an. So beziehen die angehenden JournalistInnen denn ihre Informationen wie die meisten US-BürgerInnen aus der TV- Röhre und der Lokalzeitung. Nur wenige scheint dies zu stören.
Nach Vorbildern in ihrem Metier befragt, müssen viele von ihnen passen. Nur ein Name wird in die Runde geworfen: Diane Sawyer, „anchorwoman“ und Moderatorin beim TV-Network ABC. Dies ist so, als würde der deutsche Journalistennachwuchs Dagmar Berghoff zum Rollenmodell erklären. Was Chian und ihren Kommilitonen an Frau Sawyer so imponiert, ist ihre Professionalität: „Die hat sich als Frau durchgesetzt.“ Wie nur wenige Berufszweige, so erklärt Maria, biete der Journalismus den Jugendlichen erfolgreiche weibliche Rollenmodelle. Deswegen gebe es auch in dieser Klasse, wie an der gesamten Journalistenschule, einen so großen weiblichen Überhang.
Von den großen Männern im Gewerbe, von I.F. Stone, der seinen Regierungen sechs Jahrzehnte zusetzte, und Seymour Hearsh, der während des Vietnamkriegs das von den US-Truppen verübte Massaker von My Lai aufdeckte, hat diese Generation noch nie etwas gehört. Über Vietnam sind sie ausschließlich durch Platoon und Apocalypse Now informiert. Die kritischen Standardwerke, die meist 500seitigen Abrechnungen ehemaliger Frontberichterstatter, stehen ungelesen in den Regalen der Universitätsbibliothek.
Selbst die Iran-Contra-Affäre von 1985, die jüngste Schande des amerikanischen Journalismus, ist schon zu weit weg, als daß sich die neue Studentengeneration damit ernsthaft auseinandergesetzt hätte.
Aber diese Klasse von 1991 gerade hier, an der einst linken Uni von Madison, mit ihren VorgängerInnen zu vergleichen, greift in jeder Hinsicht zu kurz. Heute wird nicht nur nicht mehr gelesen, es wird auch nicht mehr gestritten — und schon gar nicht mit den Eltern. „Ich rufe meinen Vater an, um ihn anzupumpen, doch nicht, um mit ihm über den Golfkrieg zu diskutieren“, beschreibt Julie das Verhältnis zu ihren Eltern. Als 12 der 15 Klassenmitglieder zugeben, mit ihren Eltern über den Golfkrieg einer Meinung zu sein, gibt sich selbst ihre Tutorin geschockt. Kathleen kann sich mit ihren 24 Jahren noch gut an die Familienstreitereien über Nixon und das Ende des Vietnamkriegs erinnern.
Dennoch sind sie alle überrascht, daß hier an der vermeintlich linken Universität von Madison „nicht mehr gegen den Krieg passiert“. Auf den Einwurf, daß dies ja eigentlich sie selbst sein müßten, die hier zu demonstrieren hätten, reagieren sie nur mit ungläubigem Staunen. Rolf Paasch
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