: Von einem „linkage“ mit Palästina ist nicht mehr die Rede
■ Die Wende in der irakischen Position wurde nicht ernst genommen/ Saddams Rundfunkansprache wurde von Experten durchweg falsch interpretiert
Befindet sich Tarik Asis auf dem Landweg nach Washington? Nach dem Verwirrspiel über den Aufenthaltsort des irakischen Außenministers, seine ständig verschobene Ankunft in Moskau und die letztendliche Annahme des sowjetischen Friedensplans durch den Irak könnte man fast versucht sein, die Geschichte der Spekulationen in dieser Weise fortzuschreiben. Aber soweit sind wir noch nicht, denn noch äußert die US- Administration „ernste Bedenken“.
Bereits die Wende in der irakischen Position, die mit dem Rückzugsangebot vom vergangenen Freitag eingeläutet wurde, ist in Washington — in einem offensichtlichen Gegensatz zu Moskau — nicht ernst genommen worden. Keine drei Stunden nach der überraschenden Erklärung des Revolutionären Kommandorats (RCC), in der die irakische Führung ihre Bereitschaft zum Rückzug aus Kuwait bekanntgab, kam aus Washington das Nein. Der Grund war eine Liste von Wünschen oder Forderungen („Bedingungen“ im US-Jargon), die im Zusammenhang mit dem Rückzugsversprechen behandelt werden sollten. Das schloß den Abzug Israels aus den besetzten Gebieten ebenso ein wie die Ablehnung einer Reinthronisierung der Sabah-Familie in Kuwait, den Abzug der Alliierten oder den Wiederaufbau des Iraks durch die am Krieg beteiligten Länder.
Die jetzt veröffentlichten Punkte des sowjetischen Plans scheinen im nachhinein nochmals zu zeigen, daß von irakischen „Bedingungen“ für den Abzug aus Kuwait nicht die Rede sein konnte. Von der vom RCC vorgelegten Liste hat, neben der Feuerpause, nur ein einziger Punkt Eingang in den Friedensplan gefunden: die Annullierung der UNO-Resolutionen — eine sehr strittige Frage. Bemerkenswert ist, daß keinerlei politische Wünsche des Irak aufgenommen wurden und jede Verknüpfung mit dem Palästina-Problem („linkage“) oder auch nur die Erwähnung einer irgendwann stattfindenden internationalen Konferenz zur Lösung der regionalen Probleme fehlt. Dies hätte auch der Forderung nach einem bedingungslosen irakischen Rückzug widersprochen, selbst wenn man es politisch für sinnvoll hielte. Damit hat der Irak in dem zentralen Punkt seiner bisherigen Argumentation einen Rückzieher gemacht.
Der irakische Rundfunk hat am Freitag morgen erstmals auf die Annahme des Friedensplans durch Bagdad reagiert. „Der Irak glaubt an die Prinzipien der Gerechtigkeit, der Freiheit und des Friedens“, hieß es. „Sein tiefster Wunsch ist die Sicherheit und Stabilität in der ganzen Welt, ob durch die eigene großzügige Friedensinitiative oder durch die Antwort auf die Initiative von Freunden.“
Vor dem Hintergrund der RCC- Initiative und der Asis-Reise nach Moskau ist es erstaunlich und geradezu bezeichnend, in welcher Weise die große Mehrzahl der deutschen Medien die Rede Saddam Husseins vom Donnerstag nachmittag mißverstanden hat. Mit Ausnahme eines Korrespondentenberichts des ZDFs aus Bagdad hatte man anschließend bei den abendlichen Expertenrunden den Eindruck, die versammelten Herren würden den Inhalt der Rede nicht kennen. In der Interpretation waren sie sich schnell einig: Nun gebe es de facto keine Chance für einen Waffenstillstand mehr. Doch statt die Rede inhaltlich zu analysieren, räsonnierten die Experten lieber über Nebengleise wie die Frage, ob es von Bedeutung ist, daß Tarik Asis ein Christ ist.
In den großen Tageszeitungen bot sich gestern morgen das gleiche Bild: Die Rede Saddam Husseins wurde mit einer Ausnahme als Ablehnung des sowjetischen Friedensvorschlags interpretiert. Das verbreitete Bild von Saddam als einem Verrückten oder neuem Hitler hat offensichtlich zur Folge, daß man gar nicht mehr genau hinhört, wenn sich der Diktator aus Bagdad zu Wort meldet.
In Wirklichkeit hatte Saddam Hussein mit der Fortsetzung des Krieges gedroht, falls die irakischen Vorschläge abgelehnt werden. Saddam Hussein nannte in diesem Zusammenhang explizit das irakische Rückzugsangebot vom vergangenen Freitag und die Vorschläge, mit denen Außenminister Tarik Asis nach Moskau unterwegs war. Sollten diese Vorschläge abgewiesen werden, zeige dies die wahren Ziele der Aggression, sagte Saddam in bezug auf die Alliierten. „Das Wort Rückzug wurde vom Irak und allen Menschen guten Willens für den Vorboten einer Lösung gehalten. Seine Ablehnung steigert nur die Entschlossenheit, Beharrlichkeit, Geduld und Kampfbereitschaft unserer Streitkräfte“, erklärte der irakische Staatschef. „Was der Irak wünscht, ist Frieden am Golf“, meinte er weiter. Dieser Friede müsse die Tür zu einer umfassenden und dauerhaften Lösung aller Probleme in der Region öffnen. Am drängendsten sei das Palästinenserproblem. „Aber sie wollen, daß wir kapitulieren. Und natürlich werden sie darin enttäuscht“, kündigte Saddam Hussein an.
Auf den sowjetischen Friedensvorschlag selbst ging Saddam Hussein in der kurzfristig anberaumten Rede nicht ein. In weiten Teilen schien sie an die eigene Bevölkerung und die arabische Öffentlichkeit gerichtet und eine Positionsbestimmung der Führung zu sein. Ein Exkurs über die Palästinafrage, die die Welt über vierzig Jahre „vergessen" habe, fehlte ebensowenig wie die scharfe Attacke gegen die arabischen Mitglieder der Allianz. Darüber hinaus lassen sich die Äußerungen Saddams auch als eine Botschaft an Moskau und Washington interpretieren: die Vorschläge, die Asis mit nach Moskau gebracht hat, müssen angenommen werden. Und im Falle einer Ablehnung wird der Irak bis zum letzten kämpfen.
Gleichzeitig baute Saddam Hussein freilich vor: Falls die sowjetische Initiative scheitert, ist die irakische Interpretation nach dieser Rede bereits klar. Dann liegt die Schuld bei den USA und ihren Verbündeten — die die irakischen Vorschläge stets zurückweisen, immer neue Bedingungen stellen und damit ihre wirklichen Intentionen offenlegen: die Zerstörung des Iraks. Beate Seel
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