: Das serbische Mädchen
“Dobrica hatte ihren heimlichen Aufbruch sorgfältig vorbereitet. Als sie merkte, was geschehen war, (...) lieh sie sich einen Betrag zusammen, der zumindest für die Hälfte ihres Vorhabens auszureichen schien.“
Peter Sehrs Regiedebüt basiert auf Siegfried Lenz' Erzählung „Das serbische Mädchen“. Die Geschichte: Die schwangere Dobrila (Dobrica im Buch) verläßt ihr serbisches Heimatdorf und fährt zu ihrer großen Liebe Achim nach Hamburg. Sie reist ohne Paß und mit wenig Geld.
Der wichtigste Gegenstand in ihrem Gepäck ist eine Löffelschale; den dazugehörigen Stiel hat Achim behalten, als Zeichen ihrer Liebe. In Hamburg erwartet sie allerdings eine Enttäuschung: Achim (Ben Becker) ist nicht der romantische Löffel- und Herzensbrecher, für den er sich ausgegeben hat, sondern ein echter Schuft.
Mit Lenz' knapp fünfzehnseitiger literarischer Vorlage hat Peter Sehrs Film nur noch wenig zu tun; sie dient ihm bestenfalls als Gerüst und Richtungsweiser: Serbien — Hamburg und retour. Die Handlung, in der Vorlage in den 50er Jahren angesiedelt, verlegt der Regisseur in die heutige Zeit.
Dabei gelingt es ihm teilweise, „typisch deutsche“ Verhaltensweisen aus dem unvoreingenommen Blickwinkel der Serbin Dobrica vorzuführen. Scharfsichtig in der Beiläufigkeit der Darstellung zum Beispiel die Spießbürgerlichkeit von Achims Eltern.
Erschreckend beflissen auch der Zugreisende, wie er Dobrica auf ihrer Flucht vor der Paßkontrolle an die Polizei ausliefert.
Peter Sehr gelingt es aber nicht immer, die Klischeeklippen zu umschiffen. Außerdem hat er vielleicht Schwierigkeiten gehabt hat, den Film auf seine 92 Minuten zu bringen und deshalb Dobrica auf ihrer Reise einige Hindernisse mehr in den Weg gelegt. Diese Längen macht aber die Darstellerin der Dobrica, die Jugoslawin Mirjana Jokovic, wieder vergessen.
Sie, deren Rolle wenig Text hergibt, weiß ihre Mimik sehr kunstvoll einzusetzen: Sie umspielt alle Facetten von Dobricas Charakter, sowohl Arglosigkeit als auch „erwachsene Ernsthaftigkeit“ (Sehr).
Schön ist auch das Wechselspiel von Heiterkeit und Melancholie, besonders in der Schlußeinstellung, wo sich die Pole sozusagen gegenseitig aufheben: Dobrica weiß, was sie als Mutter eines unehelichen Kindes zu erwarten hat, und doch kehrt sie, mit dem Fahrrad ein paar Schlenker auf der langen Landstraße beschreibend, singend zum Ausgangspunkt ihrer abenteuerlichen Reise zurück. Lars Joseph
Im Atlantis tägl. 18 und 20.30 Uhr
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