: Westliche Einfalt
■ Das Theater zum Westlichen Stadthirschen mit »Fern von Japan«
Japan macht es dem westlichen Betrachter nicht leicht, die Zusammenhänge seiner Kultur zu begreifen. Selbst der bestgeschriebene Bericht über das Land kann nicht verheimlichen, daß Beschreibungen eines Autors für den Leser eigentlich immer eine Fiktion sind.
Wie soll man verstehen, daß man in Japan vor den Schaltern der postlagernden Sendungen stehen bleibt, weil man die Geister der zerrissenen Briefe ehrt oder die nicht abgeschickten Briefe grüßt, wie, daß man an roten Ampeln auch Platz machen muß für die Geister des Wagenwracks? Chris Marker hat in seinem poetischen Film »Sans Soleil« die Unvereinbarkeit des westlichen und östlichen Denkens gefilmt. Darum geht es in dieser neuen Inszenierung des Theaters zum Westlichen Stadthirschen »Fern von Japan« aber gerade nicht.
In der Kreuzberger Fabrikhalle wurde das Ambiente japanischer Innenarchitektur inszeniert: Bambusrollos, verschiebbare Bambuswände, ein Bambusklettergerüst, eine Grafik: durchbrochenes Rechteck verbunden mit Diagonalen, einmal schwarz auf weiß und einmal weiß auf schwarz neben die verschiebbaren Türen gemalt, und eine Matte, auf der sich in den folgenden anderthalb Stunden 23 Assoziationen zu Japan abspielen.
Es beginnt mit vier Pinguinen, die auf die Bühne hopsen, dabei die Kopf- und Körperbewegungen der Tiere nachahmen und Eier legen, aus denen Plüschtiere ausschlüpfen. Die Pinguine sind das Äußerste, was einem an Abstraktion abgefordert wird, kurz darauf nämlich wird dem Zuschauer die Entstehung Japans geschildert, das ebenfalls wie ein Ei ins Meer gelegt wird samt seiner Götter.
In einer dynamischen Folge werden daran anknüpfend einzelne japanische Mythen und Klischees vorgeführt, die Westler mit Japan assoziieren. Verschiedene Karate-Rituale mit schwer atmenden und in die Luft schlagenden Schauspielerinnen kommen darin vor, Geschichten vom japanischen Fanatismus, von Männern, die sich die Bäuche aufschlitzen für eine Idee, werden erzählt, ja auch das Wort Samurai wird erwähnt; Glasnudeln, japanische Stäbchen und japanischer Schwertkampf wird von den rot-schwarz und schwarz-rot gekleideten Schauspielerinnen und dem einen Schauspieler vorgeführt. Japanische Kameras kommen darin vor, und der Beg Fujiyama mit der weißen Kuppel wandert plötzlich auf die Bühne. Einen Pilger gibt es, der ab und zu über die Bühne zieht, sich auf einmal auszieht und nackt herumtanzt. »Tut gut«, sagt er, als er aufhört. Geschichten von Geistern werden erzählt, und es gibt einen Dichterwettstreit, bei dem sich eine Schauspielerin und der Schauspieler Haikus an den Kopf werfen. Haikus sind japanische Gedichte nach dem Schema: Fünf Sil-ben da-hin/ Sie-ben Sil-ben her-ge-sagt/ Fünf Sil-ben zu-rück.
Im Japanszenario tauchen, nicht ganz klar warum, auch Reinhold Messner, der einen Achttausender besteigt — welchen? —, Glenn Gould, der gerne eine Symbiose mit dem Klavier einginge, und eine Schlagersängerin, die »Mitsou mitsou mitsou, mein ganzes Glück bist du« singt. Das wär's dann aber.
Sämtliche Details werden durch die Schauspieler, deren Identität, entsprechend japanischer Kultur, in der Wiederholung liegt, oder?, szenisch dargestellt. Dabei gelingt es dem Ensemble bei einzelnen Szenen, die nicht mit Kitsch und Klischees überladen sind, eine Spannung aufzubauen, die aus der Kraft der Schauspieler kommt. Dann beispielsweise, wenn die Schauspielerin in der Szene »Reinhold Messner« von einer Seite des Raums auf die andere und gegen grelles Licht kriecht, oder dann, wenn alle Schauspieler eine Geschichte, die in Etappen erzählt wird, sowohl sprachlich als auch gestisch in Etappen wiederholen. Auch als eine Schauspielerin zum Text von Glenn Gould gleichzeitig spielt und auf das Klavier klettert, ist das Einzelbild von einer bizarren Schönheit.
Was die Inszenierung in der Regie Elisabeth Zündels jedoch will, bleibt unklar. Sie ist weder eine Persiflage auf die Haltung westlicher Menschen Japan gegenüber, noch wird dem Zuschauer Japan nähergebracht. Die Aufführung ist eine Laune, ist Nichts, ist allerdings nicht Mu, nicht die Leere. Das Schriftzeichen Mu ist im Programm auf der ersten Seite nach den organisatorischen Details abgedruckt. Auf der letzten Seite des Textes steht das Zitat von Chris Marker aus dem Film »Sans Soleil«: »Ich ermaß die unerträgliche Eitelkeit der westlichen Welt, die nicht aufgehört hat, das Sein gegenüber dem Nichtsein und das Gesagte gegenüber dem Nichtgesagten zu privilegieren.« Waltraud Schwab
»Fern von Japan« jeweils Do bis So um 20 Uhr im Theater zum Westlichen Stadthirschen, Kreuzbergstr. 37, bis zum 31. März.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen