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»Eine Stimme aber fehlt in diesem Chor«

■ Berliner Schriftsteller, Journalisten und Dichter setzen sich mit einem Appell für das vom Irak bedrohte Israel ein DOKUMENTATION

Es ist Krieg im Nahen Osten.

Aber Deutschland erschauert im Kammerton A. Medien, Stammtische, Straßen und Plätze dieser satten, seit 40 Jahren von kriegerischer Bedroung freien Republik(en) hallen wider. Aber nicht von Sirenen, die uns in Luftschutzkeller hetzen.

Deutschland hallt wider vom Chor der Betroffenheiten.

Und der hat viele Stimmen: Die einen klagen, im furiosen stupor teutonicus, den totalen Frieden ein und verdammen jeden differenzierenden Einwand als abolute Unmoral; die anderen stammeln Bestürzung und zücken — »an deutschen Spesen soll die Welt genesen« — das Scheckbuch; wieder andere skandieren zum x-ten Mal das Lied vom sauberen Anti-Imperialismus, Anti-Amerikanismus, Anti-Zionismus; noch andere äußern tiefe Fürsorglichkeit — in Bezug auf die irakische Zivilbevölkerung, die PalästinenserInnen, sogar das Gesicht eines den totalen Krieg begehrenden und sein eigenes Volk terrorisierenden Diktators, das nicht verlorengehen dürfe; und dann sind da noch diejenigen, die um die Kormorane des Persischen Golfs weinen und die Apokalypse in Gestalt Millionen hungernder, ihrer Heimat beraubter Menschen der »Dritten Welt« an die Wand malen, die in der befürchteten Wellen-Weise über uns Deutsche schwappen werden, wenn nicht augenblicklich ein Waffenstillstand samt Frieden ausgerufen wird.

Eine Stimme aber fehlt in diesem Chor.

Es ist die Stimme der nichtjüdischen Deutschen, die auf die Straße rennen und schreien bei der ersten Rakete, die auf Israel fällt. Und bei jeder weiteren. Wo sind die, denen ein Angriff auf den israelischen Staat in die Eingeweide fährt, als wäre er einer auf den deutschen Staat? Die aus der deutschen Geschichte gelernt haben, daß sie sich aus der Komplizenschaft mit den Tätern nur aktiv verabschieden können: indem sie sich — auch militärisch! — schützend vor das einzige Land der Welt stellen, das Juden ohne Wenn und Aber aufnimmt, wie anderswo bedroht sind.

Nicht aus »Pflichtgefühl«, sondern aus vollem Herzen. Denn der Krieg des Saddam Hussein zielt auch — ausgesprochen und unprovoziert — auf die Zivilbevölkerung Israels, und die hat dasselbe Recht auf ein unangetastetes Leben in sicheren Grenzen wie andere auch. Dauerhafter Frieden im Nahen Osten kann nur bei der Anerkennung dieses Rechts durch sämtliche arabischen Staaten und Palästinenser-Organisationen beginnen. Dafür zu sorgen, das ist die besondere Verantwortung der Kinder des Nazistaates. Denn die israelische Zivilbevölkerung, das sind — neben denen, die zum Beispiel aus arabischen Ländern flüchten mußten — die Überlebenden der deutschen Shoah und ihre Nachkommen.

Wir, die Unterzeichnenden, wollen diese Stimme erheben, weil wir ihr Fehlen für eine unerträgliche Schande halten. Wir rufen alle KollegInnen in den Medien auf, dasselbe zu tun, wo immer sie Gelegenheit dazu finden. Eine Unterschrift unter diesen Aufruf (an: Michel R. Lang, Sigmaringer Straße 26, 1-31) ist dazu nur der erste Schritt.

Pieke Biermann (Schriftstellerin), Henryk Broder (Publizist), Mitch Cohen (Schriftsteller), Erich Rauschenbach (Karikaturist), Johannes Schenk (Dichter) u.a.

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