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Fußball in den Zeiten des Krieges

Bayern München, stark und glücksbeladen wie immer, gewinnt in Leverkusen mit 2:1  ■ Von Bernd Müllender

Leverkusen (taz) — Seien wir geschmacklos und zynisch in widerlich zynischer Zeit. Vergleichen wir aufs Peinlichste, wo die Gedanken nicht loskommen vom herbeigebombten „Frieden“. Es ist doch so, daß die fußballernden Bayern, nach vielfacher Meinung aller neutralen Ligabeobachter, die Meisterplätze seit Jahren widerrechtlich annektiert haben und eine Allianz von 17 Konkurrenten stetig versucht, sie von den Geld- und Lorbeerquellen dort zu vertreiben. Tatsache ist, daß die Münchner erst durch Spieler anderer Vereine, verkauft aus niederen wirtschaftlichen Gründen, zu solcher Stärke aufgerüstet worden sind. Unbestreitbar, daß ein Transferembargo nicht funktioniert. Und viele finden auch, daß der Münchner Manager so ein Kotzbrocken ist, daß man ihn getrost Uli Husseiness nennen könnte.

Für die Giftmischer aus Leverkusen sollte es die Fußballschlacht der Fußballschlachten werden, um doch noch das angeknackste Image aufzupolieren. Und dann war es, in den Stunden vor Ablauf des letzten Ultimatums zum massenhaften Schlachten in der Wüste, ein ganz normales — und sogar gutes — Spiel. So ist es eben: Das billige Öl fackelt gerade ab und macht den Tag am Golf zur finsteren Nacht, die Wüste klebt vom Blut durchgesiebter und explodierter Menschen, Napalm zündet wieder, Hunderttausende schreien um ein Ende, aber Chefchirurg Schwarzkopf seziert das Feind-Volk weiter — und in der Fußballbundesliga erregen sich Menschen über falsche Abseitspfiffe und banale Fußtritte, die eine Wade statt den Ball treffen.

Die Geschichte lehrt, daß die Menschheit keine Katastrophe kennt, die groß genug wäre, als daß danach nicht sofort wieder zum Kick gerufen würde. Oder auch währenddessen. Egal, was auf dem großen Ball passiert, zum Anstoß mit dem kleinen sind alle rechtzeitig da. Euphorisch, freudig wie immer. Fußball als wichtigste Hauptsache der brennenden Welt.

Überhaupt war alles wie immer: Die Bayern zeigten sich individualtechnisch, taktisch und spielkulturell von der ersten Minute an überlegen und hatten stets mehr Initiative als die meist zu passiven Gastgeber. Sie hatten wieder mal, als es darauf ankam, das sprichwörtliche Glück auf ihrer Seite. Und ihnen wurde, nicht zum ersten Mal, ein besonderer Bonus vom Schwarzmann gewährt — Roland Grahammer streckte, bereits gelbverwarnt, mit einem absichtlichen, häßlichen Schultercheck den schönen Ulf Kirsten nach Art eines kampfgeilen US-Marines nieder, aber statt den gerechtfertigten Gang in die Kabine anzutreten durfte er weiterrüpeln und bedankte sich dafür mit einer akrobatischen Einlage auf der Torlinie, was einen frühen Rückstand verhinderte.

Neu war nur ein 19jähriger Leverkusener Bayeraner mit Namen Oliver Page, eine nigerianisch-deutsche Koproduktion von derart apartem Aussehen, daß man ihn bei Bayer zum „Rijkaard der Bundesliga“ aufsteigen sehen möchte. Page war an allen Toren maßgeblich beteiligt. Anfangs brüllten die Erregten noch „Schmeißt den Scheiß-Neger raus“, als er hypernervös und mit schlechtem Stellungsspiel Wohlfarth zwei Chancen bescherte. Als der Nachwuchsmann nach 62 Minuten aber mit einer seltenen Kopfball-Aufsetzer-Bogenlampe Aumann überwand, jubelten sie ihm „Olli, Olli“ entgegen. Leverkusen, einzig mit Kampf, führte völlig unverdient.

80 Minuten lang hatten die Bayern fast ein dutzend Torchancen tumb versäbelt, aber als sie wegen Dummheit die Wende nicht mehr verdient hatten, schaute Page untätig zu, wie Wohlfarth den Ausgleich köpfte. Und drei Minuten vor Schluß, als wieder einmal eine Flanke, nach Pages erneuter Schläfrigkeit, über Wohlfarths Hinterkopf quer durch die desorganisierte Leverkusener Hintermannschaft trudelte, war der ansonsten abgemeldete Brian Laudrup zur Stelle und schlenzte ein.

Und so haben die Bayern wieder die Tabellenspitze annektiert. Eigentlich der Bündnisfall für die Liga. Aber die Allianz scheint, mal wieder, zu schwach, zu ängstlich und zu uneinig gegen den bayerischen Agressor. Anders als im richtigen, wichtigen Leben.

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