: Rückkehr zu den Quellen
Auf dem Solidarność-Kongreß schied Walesas Kandidat schon nach der zweiten Runde aus/ Die Gewerkschaft geht auf Distanz zur Regierung/ „Entpolitisierung“ und gewerkschaftlicher Kampf ■ Aus Gdansk Klaus Bachmann
Marian Krzaklewski heißt der neue Vorsitzende der Gewerkschaft Solidarność. Die Delegierten des dritten Gewerkschaftskongresses wählten den 41jährigen Akademiker mit 222 Stimmen am Sonntag abend zum Nachfolger von Walesa. Krzaklewskis Gegenkandidat, der Danziger Lech Kaczynski, erhielt 174 Stimmen. Die Entscheidung fiel am späten Abend im dritten Wahlgang. Der Danziger Bogdan Borusewicz, der allgemein als Wunschkandidat Walesa gegolten hatte, war schon vorher ausgeschieden.
Mit dem aus Zabrzyn in Oberschlesien stammenden Krzaklewski hat zwar im Grunde ein Außenseiter gewonnen, doch ist das angesichts der Stimmung in der Gewerkschaft und der Mehrheitsverhältnisse in den Regionalorganisationen keine wirkliche Überraschung. Zum einen enstammt Krzaklewski der mitgliederstärksten Organisation der oberschlesischen Industrieregion und konnte so bereits von vornherein auf zirka ein Fünftel der Delegiertenstimmen rechnen. Zum anderen repräsentiert er eine Strömung in der Gewerkschaft, die schon seit geraumer Zeit an Zustimmung gewinnt.
In seiner Wahlrede vor den Delegierten erklärte Krzaklewski, Solidarność sei und bleibe die „wichtigste, antikommunistische Kraft in Polen“. Von einer Krise der Gewerkschaft könne keine Rede sein. „Wir müssen effektiver werden“, rief er, „und zu unseren Quellen von 1980 zurückkehren.“ Notwendig sei ein moralischer Aufbruch. Er kündigte ein „spektakuläres Vorgehen“ gegen die alte Nomenklatura und die von ihr gegründeten Scheinfirmen an. Die Gewerkschaft müsse auch die Privatisierung überwachen und ein neues Gewerkschaftsgesetz „im Notfall auch mit Protestaktionen“ erzwingen. Die Arbeitslosigkeit soll die Solidarność mit Hilfe eigener Unterstützungsfonds bekämpfen. Krzaklewski betonte, er gehöre keiner politischen Partei an — womit er sich zugleich von seinen Mitbewerber Andrzej Slowik, der der nationalkatholischen Vereinigung angehört, und Lech Kaczynski, der Walesas Zentrumsbewegung nahesteht, distanzierte.
Die Wahl des schlesischen Wissenschaftlers, der bereits 1980 in der Gewerkschaft und danach in den Untergrundstrukturen von Solidarność aktiv gewesen war kommt dem Wunsch der meisten Delegierten nach einer Entpolitisierung von Solidarność etgegen. Die Frage, inwieweit sich Solidarność in die Politik einmischen sollte, beschäftigte alle Kandidaten. Überwiegend herrschte doch die Auffassung, Solidarność solle die Verteidigung der Arbeitnehmerinteressen in der Vordergrund stellen. Eine Zusammenarbeit mit der unterm Kriegsrecht gegen Solidarność gegründeten Gewerkschaft OPZZ lehnten alle Kandidaten unter dem Beifall der Delegierten kategorisch ab. Krzaklewski verlangte auch die Abschaffung der Lohnzuwachssteuer, die zur Zeit noch über die Inflationsrate hinausgehende Lohnsteigerungen nahezu unmöglich macht.
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