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Kunstwerk per definitionem

■ Schüler kommentieren Kunst — die Kunsthalle Bremerhaven dokumentiert

Ein struppiger Blondschopf betritt das Zimmer, in dem sich nichts als ein Kunstwerk befindet. Eine Wandformation von Franz Erhard Walther, „Standstelle und halbierte Weste (II, 1982)“. Aus der Standstelle mit zwei roten Jackenhälften wird in der Zeichnung des Jugendlichen ein Kinderzimmer mit Kaufmannsladen, an der Wand hängen Pudelmütze und Jacke. Das Kunstwerk ist bewohnbar gemacht.

Um „Annäherungen an ein Kunstwerk“ geht es in einer am Sonntag in Bremerhavens Kunsthalle eröffneten Ausstellung, die bei Erwachsenen und Jugendlichen gleichermaßen großen Anklang fand. Neun SchülerInnen- Gruppen - von einer vierten Klasse bis zur Jahrgangsstufe 13, von der Hauptschulklasse bis zur gymnasialen Oberstufe — haben sich daran beteiligt, Walthers Arbeit in eigene Phantasien zu übersetzen.

Das hochabstrakte Spiel des Hamburger Künstlers mit Formen, Farben und Proportionen, mit Raum und Fläche motivierte die SchülerInnen nicht nur zu ehrfürchtig werkgetreuen Annäherungen, sondern auch zu kritischen Anfragen und gewitzten Assoziationen. In einer Arbeit wird Walthers Standstelle zum aufgeklappten Sargdeckel, ein anderer Künstler hat aus einer Schlaufe zur Befestigung der Jackenhälften einen Galgen gemacht. Eine Hauptschulklasse zerschnitt die eigenen Fotoportraits, setzte sie nebeneinander und stellte unter jede (rechte) Gesichtshälfte einen (rechten) Schuh. Zusätzlich montierte sie Schuh und Gesicht in Illustriertenbilder von Orten des Glücks und des Schreckens. Zu den interessantesten Arbeiten gehört eine großformatige Comic-Erzählung. In der an Roy Lichtenstein orientierten Bilderfolge wird sowohl die Diktion des abgehobenen Künstlers als auch der plakative Polit-Kitsch distanziert-ironisch vorgeführt. Während der „Rezipient durch Eigeninitiative zum Kunstwerk“ wird, fliegen Düsenjäger über die Kunsthalle, und der gerade in die Standstelle eingetauchte Mensch trennt sich von Walthers halber Jacke, um ein Friedensplakat hochzuhalten. Die zahlreichen Arbeiten der SchülerInnen fanden bei der Eröffnung ein kritisches und angeregt diskutierendes Publikum, das 1988 von der Kunsthalle angekaufte Original blieb dagegen weitgehend unbeachtet. Liegt es an der Aura des echten Kunstwerks, daß niemand wagte, die halbierten Jacken überzuziehen und sich als Kunstwerk auf & in die Standstelle zu stellen? hans happel

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