: Krankenkassen wollen Klinikkahlschlag
■ Berliner Krankenkassen erwägen die Schließung oder Umwandlung von mindestens fünf großen Krankenhäusern/ Kosten sollen reduziert werden
Berlin. Große Beunruhigung hat bei den Beschäftigten der Berliner Krankenhäuser ein internes Arbeitspapier der Krankenkassen hervorgerufen, in dem die Schließung bzw. Umwandlung von fünf großen Westberliner Krankenhäusern in Geriatriezentren vorgeschlagen wird. Auch die Ostberliner Krankenhäuser sollen nicht ungeschoren davonkommen. Namen wurden hier jedoch noch nicht bekannt. Mit dem Abbau von insgesamt 6.705 Krankenhaus- Akutbetten soll auf die katastrophale Finanzsituation reagiert werden, die durch die Zusammenführung des Ost- und Westberliner Gesundheitswesens entstanden ist.
In dem der taz vorliegenden Arbeitspapier der Krankenkassenverbände wird vorgeschlagen, den örtlichen Bereich des Krankenhauses Spandau, Havelhöhe (591 Betten), zu schließen. Die städtischen Krankenhäuser Moabit mit 886 Betten und der einzigen Säuglingsstation im Bezirk Tiergarten sowie das Schöneberger Auguste-Victoria-Krankenhaus (1.162 Betten) — bekannt für die hervorragende Versorgung von Aids-Patienten — und das Krankenhaus Zehlendorf (831 Betten) sollen in Zukunft für geriatrische Rehabilitation und Langzeitversorgung zuständig sein. Nur für das Tempelhofer Weckebeck-Krankenhaus bieten die Krankenkassen eine Alternative an: Statt in ein Geriatriezentrum könne die Klinik auch in einen psychiatrischen Versorgungsbereich umgewidmet werden, aber nur bei gleichzeitiger Aufgabe der Psychiatrie im Krankenhaus Neukölln.
Für das Universitätsklinikum Steglitz halten die Kassen eine besondere Überraschung bereit: Dem Klinikum (1.354 Betten) soll der Status eines Universitätskrankenhauses abgesprochen werden. Es soll in Zukunft ein ganz normales Krankenhaus für den Süden Berlins sein.
Auch im Ostteil der Stadt müssen nach Ansicht der Kassen rund 3.000 Krankenhausbetten abgebaut werden. Ob durch ersatzlose Schließung oder durch Umwandlung in Geriatriezentren solle Strukturgesprächen vorbehalten bleiben. In den Bezirken Mitte und Pankow müßten jedoch in jedem Fall aufgrund der dortigen, hohen Bettenkonzentration ganze Krankenhäuser schließen.
Von den Umstrukturierungsmaßnahmen erhoffen sich die Kassen, daß sich die Kosten für beabsichtigte Baumaßnahmen erheblich reduzieren. Begründet werden sie mit der über dem Bundesdurchschnitt liegenden Verweildauer der Patienten, während die Auslastung in vielen Fachdisziplinen wie Innere Medizin, Neurologie und Kinderheilkunde unterdurchschnittlich sei. Das wichtigste Argument ist jedoch, daß die Pflegesätze in den geriatrischen und psychiatrischen Pflegeheimen nicht mehr von der Krankenkasse bezahlt werden müssen, sondern aus dem Haushalt der Sozialhilfe.
Der Sprecher der AOK, Abraham, drückte auf Nachfrage große Verwunderung darüber aus, daß das Papier an die Öffentlichkeit gelangt sei, zumal es sich um einen »reinen Entwurf ohne jegliche Verbindlichkeit« handele. Die internen Beratungen würden Anfang März fortgesetzt. Gesundheitssenator Luther (CDU) wollte zu den Plänen der Kassen gestern keine Stellungnahme abgeben: »Wo kämen wir denn hin, wenn wir zu jedem internen Papier anderer Verbände unsere Meinung abgeben«, erklärte die Gesundheitssprecherin Klages mit dem Hinweis: »Wir arbeiten selbst an einem Krankenhausplan.« Ärztekammerpräsident Ellis Huber sprach dem Entwurf jegliche Relevanz ab: »Das ist ein typisches Papier, das am grünen Tisch entstanden ist, ohne Verständnis für die Versorgungsprobleme Berlins.« Auch der Verwaltungsdirektor des Klinikums Steglitz, Schüttig, hielt das »gesamte Papier für vollkommen unrealistisch«. AL-Abgeordneter Köppl stellte fest, daß die Kassen aufgrund der unzureichenden Regelungen im Einigungsvertrag in einer finanzpolitischen Klemme steckten, aus der sie nur durch »eine Kahlschlagpolitik« wieder herauszukommen meinten. Nach Angaben des Personalrats-Vertreters des Auguste-Victoria-Krankenhauses, Götz, hat das Papier in der Klinik große Beunruhigung ausgelöst. Am Mittwoch solle ein Konzept ausgearbeitet werden, um solchen Plänen entgegentreten zu können. maz/plu
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