: Verfahren gegen Ex-Spionagechef
■ Bundesanwalt Alexander von Stahl kündigt Strafverfolgung gegen ehemalige DDR-Topspione an/ Viele von ihnen hüllen sich in Schweigen/ Stasi-Leute seien oft »arrogant«, klagt von Stahl
Berlin. Generalbundesanwalt Alexander von Stahl hat betont, daß sich ehemalige DDR-Topspione nicht durch Schweigen der Strafverfolgung entziehen könnten. Der Bundesanwalt kündigte in diesem Zusammenhang »Pilotverfahren« gegen ehemalige hauptamtliche Mitarbeiter der DDR-Nachrichtendienste an. »In absehbarer Zeit« würden Anklagen erhoben, sagte von Stahl am späten Montag abend auf einer FDP- Veranstaltung in Berlin. Eins der Verfahren richtet sich nach seinen Angaben gegen den letzten Chef der Abteilung Auslandsaufklärung im Ministerium für Staatssicherheit (MfS), Werner Großmann. Er war Markus Wolf in diesem Amt nachgefolgt. Großmann hatte sich den deutschen Behörden gestellt.
Ein anderes Verfahren richte sich gegen einen Generalmajor a.D., der früher für Spionageabwehr und Gegenspionage im MfS mitverantwortich war. Diese Abteilung habe »sehr erfolgreich gearbeitet«, sagte von Stahl. Der Offizier solle sich mit einem von ihm geführten Bundeswehr- Hauptmann vor dem Bayerischen Oberlandesgerichtshof verantworten.
Von Stahl machte in seinem Vortrag deutlich, daß sich ehemals hauptamtliche Stasi-Mitarbeiter und mutmaßliche Agenten bisher in den Vernehmungen »zum großen Teil ablehnend«, unzugänglich und vielfach arrogant verhielten. Solche »stereotypen Verhaltensweisen« gingen offenbar auf alte Absprachen zurück, die noch aus der Ära Wolf und Großmann stammen dürften. Von Stahl sagte, diese Strukturen müßten aufgebrochen werden. Dazu sollten nun auch die »Pilotverfahren« dienen.
Auch gegen den ehemaligen DDR-Devisenbeschaffer Alexander Schalck-Golodkowski wird möglicherweise ein Ermittlungsverfahren wegen Spionage gegen die Bundesrepublik eingeleitet. Die Bundesanwaltschaft prüft seit Montag jüngste Presseveröffentlichungen, nach denen Schalck als hochkarätiger Spion auf der Besoldungsliste des MfS stand. Nach den Worten des Bundesanwalts wird voraussichtlich noch in dieser Woche entschieden, ob aus dem Prüfungsverfahren gegen Schalck ein Ermittlungsverfahren wird. Der ehemalige DDR-Staatssekretär lebt seit der Wende unbehelligt und vom Bundesnachrichtendienst geschützt in Bayern und hat zu allen Vorwürfen erklärt, er sei strafrechtlich nicht schuldig. Weder der BND noch Schalck äußerten sich bisher zu den Verstrickungen westdeutscher Politiker mit dem SED-Devisenschieber oder der Stasi.
Die Ermittlungsverfahren wegen Spionagetätigkeit gegen die alte Bundesrepublik sind im Jahr 1990 im Vergleich zum Vorjahr sprunghaft angestiegen, von 300 auf 601, teilte von Stahl mit. Die Zahl der Haftbefehle habe sich auf 70 verdreifacht. dpa/taz
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