Roberto aber war ein Mörder

■ Vor der Premiere von „Roberto Zucco“ im Schauspielhaus: Regisseur Gerhard Willert über den letzten wirklichen Mord

Gerhard Willert inszeniert fürs Schauspielhaus den „Roberto Zucco“ von Bernard-Marie Koltès, ein Stück über einen Amok- Mörder, der ganz ohne Motiv auskommt. In der letzten Spielzeit hatte Willert den „Kampf des Negers und der Hunde“, ebenfalls von Koltès, auf die Bühne gebracht und damit dem absaufenden Bremer Theater nochmal ein richtiges Erlebnis beschert. Die taz traf sich mit Gerhard Willert auf ein Bier und ein Gespräch über vierzehn Kreuzweg-Stationen. Und über den letzten großen Ausbruch Mord.

taz: Die größte Gewalttat, und aus gar keinem Grund: ein wunderbarer Theaterstoff, nicht?

Gerhard Willert: Ja. Der Koltès, der verweigert ja jedes Motiv. Er erklärt nichts, das interessiert den gar nicht. Er stellt die Figur hin, die ist faszinierend. Die exerziert, ähnlich wie die Gladbecker Geiselgangster, etwas für uns durch.

Wie denn?

Das Stück ist gebaut wie ein Kreuzweg: in vierzehn Stationen und einer fünfzehnten als Auferstehung. Es ist überhaupt sehr formbewußt. Die Eröffnung wie in Hamlet: zwei Wachtposten. Ein klassischer Botenbericht drin: die panische Nutte, die von einem Mord Zuccos erzählt. Und eine Liebes-Szene, das kann der ja wie kein...also unglaublich. Prost!

Prost. Das klingt nach Raffinesse.

Ist es nicht. Der Koltès macht ja ganz scharfkantige Bilder. Der schmeißt dich rein in die Situation, wo ein Tennessee Williams fünf Seiten Anlauf nimmt. Hier

Regisseur Gerhard WillertFoto: Sabine Heddinga

müssen die Schauspieler einfach reinspringen. Das ist hart.

Und wie zeigt man Situationen ohne Geschichte?

Man braucht da eine unglaubliche Klarheit in den Bildern. Das fängt an beim Licht und geht bis zum Bühnenbild. Das muß sparsam sein, mit wenigen Zeichen. So wie kein Wort überflüssig ist bei diesem Koltès, der in einer total heutigen Sprache schreibt. Und nach Afrika gegangen ist, um das dortige Französisch zu hören, der fernsieht und in Kneipen geht und den Zuhältern aufs Maul schaut. Und der in die New Yorker Bronx gegangen ist und sich dort Aids geholt hat. Da hat der seine Sprache her, und hat sie eingedampft zu Poesie, zu archetypischen, ausgebeinten Bildern voller Power. Das kann man nicht „realistisch“ machen wie jetzt in Hamburg, wo man für die Schlägerei einen aus dem Kiez geholt hat. Was ist denn ein Archetyp, zum Beispiel des Mörders? Doch ein Muster, eine Struktur, so

hierhin bitte das

Foto mit dem Halblanghaarigen

reich, daß er für den Zuschauer Sender und Empfänger gleichzeitig sein kann. Eine Art Ikone.

Nun ist der Roberto Zucco kein Dutzendmörder, der nach Feierabend wegen Eifersucht seine Frau erschlägt. Wie zeigt man so einen fernen Menschen und macht ihn doch nicht außerirdisch?

Wenn ich das sagen könnte, müßte ich nicht inszenieren. Aber ich glaube, man kann sich da aufs Stück verlassen. Wenn man aber, wie König in Düsseldorf, den Zucco sich umbringen läßt per Plastiktüte überm Kopf wie der wirkliche Succo, Succo mit S heißt ja das Vorbild, dann ist das ein Schmarrn. Das steht nicht im Stück.

Der wirkliche Succo?

Der war ein ganz normaler Bürgerlicher. Polizistenkind. Wie ich (lacht). Hat seine Mutter umgebracht, weil sie ihm die Schlüssel verweigert hat für den Alfa Romeo und danach seinen Vater, damit der die tote Mutter

nicht sehen muß. Dann kam er in die Psychiatrische, konnte aber ganz normal studieren, Linguistik in Rom. Plötzlich war er weg und hinterließ in Südfrankreich und der Schweiz eine blutige Spur: ermordete Polizisten, vergewaltigte Frauen und dergleichen. Als man ihn endlich hatte, da war auch sowas Sonderbares: er mit drei Wachen auf dem Gefängnishof, er reißt sich los und springt mit ein paar Schritten, also fast aus dem Stand, auf eine vier Meter hohe Mauer, klettert aufs Dach, zieht sich bis auf die Unterhose aus und schreit eineinhalb Stunden lang Haßtiraden herunter, abwechselnd mit Dante-Versen.

Kein Mörder für den Hausgebrauch.

Nicht gerade.

Das ist doch merkwürdig wohltuend, wie hier der Mord gerettet wird vor den Sozialarbeitern, vor der grenzenlosen Eingemeindung, vor der sozialhygienischen Funktion. Ist der Mord ohne Grund nicht das letzte, was man noch selber tun kann?

Die letzte Möglichkeit, ein tragischer Held zu sein, sowas wie ein Schicksal zu haben.

Aber die letzte Tat, die nicht gleich absorbiert werden kann, die letzte Ausfallschneise, der Mord also ohne Grund, das ist doch schrecklicherweise auch schon längst ein Mythos. Was hilft uns der ertragen?

Die Welt jetzt, wie sie ist. Die sonst restlos von Zwecken definiert erscheint. Obwohl doch eine Börse zum Beispiel das Irrationalste ist, was es gibt. Da entsteht ein Bedürfnis nach Intimität, wo ein Messerstich einem Liebesakt sehr ähnlich ist. Das sehen wir an dem Zucco, der klugerweise kein Psychopath ist, sondern ein schöner Mensch. Der sich kurz vorm Sterben, mit gräßlich polierter Fresse, an der Telefonzelle hochzieht und Hugo's Ode an den Koloß von Rhodos rezitiert. Da kommt's aber dann, wenn ich inszeniere, selbst auf die Telefonzelle an, da kannst nicht mehr irgendwie Theater machen, da muß das Ding eine Aura haben. Interview: Manfred Dworschak

Premiere morgen, Donnerstag, um 19.30 im Schauspielhaus