Wir haben es so gewollt

■ Ein Rückblick auf die erste deutsch-deutsche Zeitungskooperation ...UND WEIL DU GESTERN GEBURTSTAG HATTEST

Noch immer gibt es Leute, die einen fragen, wenn man sich als JournalistIn der taz vorstellt: Von der Ost- oder der West-taz? Und jedesmal könnte man die gleiche Geschichte erzählen, die anfängt: Es war einmal eine DDR-taz...

»Die erste deutsch-deutsche Kooperation auf dem Zeitungsmarkt«, hieß es noch vor einem Jahr in den Schlagzeilen der Konkurrenz. Am 26. Februar 1990, lag das eigentümliche sechzehnseitige Produkt, von denen »keiner so recht weiß, wo die eigentlich herkommen«, wie Geschäftsführer Jürgen Kuttner in der ersten Ausgabe bekanntgab, erstmals an den Kiosken der ostdeutschen Republik, damals noch DDR.

Die Interessen beider Seiten trafen sich in diesem Projekt auf merkwürdige (und letztlich denkwürdige) Weise. Die Westler wollten ein Bein auf den ostdeutschen Medienmarkt kriegen, die Ostler eine Zeitung fern der sich wendenden DDR-Parteiblätter machen. Dies zusammenzubringen, erforderte unternehmerische Pioniertaten. Mit einer Verlagsgründung in Ost- Berlin übersprang man alle bestehenden rechtlichen Hürden, die es westdeutschen Zeitungen unmöglich machten, sich im Osten über den normalen Zeitungsvertrieb zu etablieren. Anbau-Verlag wurde das nicht volkseigene Gebilde in Anlehnung an den belletristischen Aufbau-Verlag genannt.

In der Mitteilung an den Presse- und Informationsdienst verkündete das »Joint-venture der besonderen Art«, daß die redaktionelle Verantwortung für die Zeitung »allein bei der hiesigen Verlagsgesellschaft und deren Mitarbeitern« läge. Die PR war großartig, Fernsehteams und Vertreter der Nachrichtenmagazine verstopften die Redaktionsräume. Während alles im Osten zusammenbrach, baute man hier auf oder besser an, ohne vorher mit dem »gesamtdeutschen Besen«, die Ostler weggekehrt zu haben. Im Gegenteil, man erhoffte sich, so den »Kompetenzvorsprung in der DDR- Berichterstattung« ('Spiegel‘) noch auszubauen. Daß die Verlagsgründung und die Autonomieerklärungen ein taktischer Zug waren, um das Projekt auf den Weg zu bringen, erklärte taz-Chefin Georgia Tornow in einem späteren Interview, sei »kein Geheimnis«.

Für die Ostler begann eine Illusion. Sie wußten, das Projekt würde nicht von Dauer sein. Irgendwann sollten die beiden tazzen sowieso zusammenwachsen. Und sie vermuteten richtig, daß die Tatsache, daß »die Zeitung autonom ist, viele Diskussionen mit sich bringen wird«. Denn die »linksalternative Tageszeitung« (West) wollte mit dem Vorstoß in den Osten auch ihre »Art des Journalismus und damit das Element der Meinungsbildung transportieren«, so Georgia Tornow. Diese aber pur auf die jungen, intelligenten Ostlinken loszulassen, ahnten die Westler, würde nicht gutgehen. Also ließ man wegen des »kulturellen Abstandes zwischen Ost und West« (Jürgen Kuttner) die Westseiten von den DDR-Redakteuren ein wenig »osten«, wie es Kulturredakteur Andre Meier respektlos beschrieb. Die Ost-tazler durften fröhlich und unkontrolliert Raubbau an den Seiten des Westproduktes üben und die Neukomposition mit eigenen Texten ergänzen. Ein Witz im deutsch-deutschen Vereinigungsprozeß, in dem doch die Generalparole ausgegeben wurde, alles einzuwesten, was nur einen Hauch »Ost« an sich hatte.

Das fünfköpfige Redaktionsteam stürzte sich zusammen mit einer Technikcrew ohne Nullnummer und inhaltliches Konzept an die vermeintlichen Brennpunkte deutsch-deutschen Treibens. Gerade mal die Seitenfolge war klar, ansonsten improvisierten sie täglich am Absturz vorbei. Das Ost-West-Gebräu war zwar nicht immer genießbar, aber das Mixen wurde mit ungeheurem Enthusiasmus betrieben. Angesichts der Produktionsbedingungen in den Räumen des ehemaligen Zentralkomitees der SED definierte eine Westkollegin ZK nicht ganz sauber als »Zeitungs-Chaos«.

Der Ostableger wurde von der sogenannten Mutter- taz argwöhnisch beobachtet. Die PessimistInnen wußten von Anfang an, daß dieses Experiment sowieso nicht gutgehen konnte. Sie dachten schon an die gemeinsame Mark und sahen ihr zehn Jahre lang erkämpftes professionelles taz-Image den Bach runter gehen. Die Gutwilligen nahmen Rücksicht wegen der Kinderkrankheiten des Neuprojektes, an die sie sich aus eigenen Gründerzeiten noch lebhaft erinnern konnten. Daß es keine zwei tazzen in Berlin geben sollte, meinte Georgia Tornow, sei von Anfang an klar gewesen. Deshalb habe man sich auf ein Minimum an Ausstattung und Kräften beschränkt. Die Gestaltung der Ost-taz sei zwar technisch selbständig gewesen, »aber inhaltlich war sie das überhaupt nicht«. Auch andere WestredakteurInnen erinnern sich fürchterlicher Überschriften, dilettantischer Texte und einer hoffnungslosen Unaktualität.

Bei allen Mängeln an Professionalität finden die Ostredakteure bis heute, daß sie auch inhaltlich gearbeitet haben. Aber sie konnten machen, was sie wollten, die Geschichte war immer schneller als die RedakteurInnen. Sie produzierten Tag und Nacht, 60 oder 70 Stunden die Woche. Ihr Prinzip war, so jedenfalls Andre Meier, »zu schreiben, was ich schon immer schreiben wollte«. Und der Kopf des Unternehmens, Jürgen Kuttner, vergleicht das ganze rückblickend mit einem »Abenteuerspielplatz«.

Doch schließlich hatte man den Ostlern das EDV-Redaktionssystem nicht zum Austoben in die Oberwasserstraße gestellt. Mit einem Beschluß über die technologische Vereinigung erfolgte der schrittweise Anschluß der Ostredaktion. Zuerst wurden die »aktuellen« RedakteurInnen in das Blattmacherteam in die Kochstraße zur Produktion der zwei übrig gebliebenen DDR-Seiten abgezogen. Dann fielen die Kulturseiten und die Medienseite der Ost-taz-Auflösung zum Opfer. Auch die LeserInnenbriefseite blieb irgendwann weg, was insofern nicht tragisch war, weil die LeserInnen sowieso nicht mehr schrieben. Schneller als die Bonner Vereinigungsstrategen hatte es die taz geschafft. Zur Währungsunion konnte vorbildlich für alle anderen raportiert werden: Vereinigung vollzogen. Und niemand kann sagen, daß sie es anders gewollt hätten. Anja Baum