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„Da werden nur Löcher gestopft“

■ Werner Schulz (Bündnis 90/Grüne) zu den Steuerbeschlüssen der Bundesregierung INTERVIEW

taz: Wenn die Steuererhöhungen die Leistungsfähigen belasten und ökologisch verträglich sind, könnte die Bundesregierung mit euer Unterstützung rechnen, haben Sie in der letzten Woche im Bundestag gesagt. Gilt das noch?

Werner Schulz: Das ist ja jetzt nicht so eingetreten, wie wir das gefordert haben. Die Mineralölsteuer wird ja nicht in einem ökologischen Sinne verwendet, als ökologischer Lenkungsmechanismus. Sie wird erhöht, um den Finanzbedarf für andere Zwecke zu decken. Die Erhöhung der Einkommen- und Lohnsteuer widerspricht der von uns geforderten Ergänzungsabgabe, die vor allem Höherverdienende belastet, an die in den letzten Jahren immer wieder Steuergeschenke ausgeteilt worden sind. Die Bundesregierung rückt ja auch nicht ab von dem Steuergeschenk einer Streichung der Vermögens- und Kapitalgewerbesteuer.

Ihr, die immer entgegen der Aussagen der Bundesregierung Steuererhöhungen und massive Hilfe für die neuen Länder für unumgänglich gehalten habt, müßtet euch doch bestätigt fühlen?

Wir fühlen uns natürlich bestätigt. Aber wir denken nicht, daß die Beschlüsse ausreichend sind. Da werden nur aktuell erkannte Löcher gestopft und Notpflästerchen aufgelegt. Das sind zum teil laufende Kosten, damit Kommunen und Länder überhaupt arbeiten können. Selbst der Finanzbedarf, den die ostdeutschen Ministerpräsidenten angemeldet haben, wird damit nicht gedeckt.

Deren Forderungen hält der Bundesfinanzministerfür völlig überzogen.

Das sehe ich überhaupt nicht so. Im Gegenteil. Es sind bei den Ostländern in vielen Fällen ja nicht einmal die Investitionskosten mit berücksichtigt, um eine Infrastruktur im Osten aufzubauen. Jetzt ist auch nicht das Problem gestoppt, daß die Menschen nach wie vor ihre Länder verlassen. Ich sehe nicht, daß das Steuersignal da eine aufschiebende Wirkung haben könnte. Die Leute suchen Arbeit, die sie natürlich erstmal im Westen finden. Eine Wende kann man erst dann erreichen, wenn man die Treuhand bewußt auch als Sanierungsinstrument nutzt, was im Moment überhaupt nicht geschieht. Notwendig ist ein Aufbau- und Infrastrukturprogramm, welches Arbeitsplätze sichert und eine Volkswirtschaft zumindest noch halbwegs auffängt oder in bestimmten Bereichen wieder neu entstehen läßt.

In den ostdeutschen Ländern mischen sich die Probleme zu einem wirklich unglücklichen Konglomerat. Es ist sowohl eine marode Wirtschaft, die durch den harten Konkurrenzdruck zusammengebrochen ist und es ist andererseits ein völlig überstürzter Weg, den die Bundesregierung eingeschlagen hat. Man hat den ersten Schritt vor dem zweiten gesetzt, hat die Währungsunion gemacht, bevor man die Wirtschaft stabilisiert und überlebensfähige Betriebe saniert hat.

Dann hätte es keine Einheit gegeben, sagt Kohl.

Das sehe ich nicht so. Man hätte die Einheit außenpolitisch voll vereinbaren und terminlich festlegen können für die nächsten Jahre, inzwischen die Volkswirtschaft stabilisieren und aufbauen und die Währungsunion ans Ende setzen. Dann hätte man die Mittel, die man jetzt für Sozialleistungen reinpumpt, gut und gerne in einen Reisefonds hineinstecken können, damit die Leute herauskommen und Devisen in die Hand bekommen können. Interview: Gerd Nowakowski

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