: Statt Glamour solide alte Tugenden
Regierungserklärung des neuen baden-württembergischen Ministerpräsidenten Teufel hat pastorale Färbung/ Sein Schlüsselwort ist „Solidarität“ zwischen allen gesellschaftlichen Gruppen ■ Aus Stuttgart Erwin Single
Jeder hat seine Talente. Der neugekürte baden-württembergische Ministerpräsident hat als Vordenker seiner Partei schon in der Vergangenheit die katholische Soziallehre hochgehalten. Nun will der Nachfolger des reisefreudigen Landesfürsten Späth die Theorie auch zur Regierungspraxis machen: Mit der ihm eigenen pastoraler Färbung schlug der grundsatztreue Erwin Teufel bei seiner gestrigen Regierungserklärung deutlich soziale Töne an. Nicht mehr „high-tech“ und „high-culture“, hochgepäppelte Markenzeichen des jovialen Schnelldenkers Späth, sondern „Solidarität“ zwischen gesellschaftlichen Gruppen, zwischen Bund und Ländern, Mensch und Natur, Reich und Arm, Jung und Alt, Etablierten und Andersdenkenden sollen künftig die Leitorientierung der Stuttgarter Politik bilden. Teufel forderte auch Solidarleistungen ein — für die neuen Bundesländer und einen Entwicklungsfond für Osteuropa.
Geschickt nutzt der neue Regierungschef den durch eingeschränkte finanzielle Handlungsspielräume notwenig gewordenen „Kassensturz“ zu einer deutlichen Kurskorrektur, ohne dabei das Ruder ganz herumzureißen. In der zweitletzten Reihe sitzend, mußte Amtsvorgänger Späth pikiert mitanhören, wie seine späthabsolutistischen Kunstdenkmäler nacheinander einzustürzen drohen. Kein Glamour mehr; der zur kleinschrittigen Landespolitik zurückkehrende Teufel setzt vielmehr auf alte Tugenden: „Opferbereitschaft“, eine „Kultur des Helfens“ und „soziales Engagement“ sollen den Weg in eine offene und humane Gesellschaft ebnen. Wen wundert's also, daß der sich zu den reformfreudigen Unionschristen zählende Teufel gerade die kreuzbiedere Familienpolitik zur Chefsache macht. Die „Sorge um die junge Generation“ sei schließlich die wichtigste Aufgabe. Ein dreijähriges Erziehungsgeld sowie ein flächendeckendes Betreuungsangebot mit Kinderhorten an Schulen kündigte der Regierungschef an. Berufstätigen Frauen, kinderreichen Familien, Alleinerziehenden und pflegenden Familienangehörigen soll künftig mehr unter die Arme gegriffen werden. Daß Teufel weiter fest an der Seite der Abtreibungsgegner steht, war bereits vor der Regierungserklärung klargeworden: Baden-Württemberg wird seine Unterstützung der bayrischen Verfassungsklage nicht zurückziehen. In der Ausländer- und Asylpolitik dagegen schlug er liberale Töne an. Teufel, der das Wort des „Asylmißbrauchs“ und der „Wirtschaftflüchtlinge“ bisher stets vermieden hatte, will sich für eine europäische Lösung des Asylrechts auf der Grundlage der Genfer Flüchtlingskonvention einsetzten. Ob er mit darüber hinaus auch den kulturellen Dialog fördern und den obrigkeitsstaatlichen Mief in der Schul- und Bildungspolitik lüften wird, bleibt abzuwarten.
Leicht wird es der bodenständige Erwin Teufel, wohl bald auch CDU- Parteichef, bis zur Landtagswahl in einem Jahr nicht haben. Er muß sich vom übergroßen Schatten Lothar Späths lösen. Und vor dem Späth- Untersuchungsausschuß droht der alleinregierenden Union noch manch böse Überraschung.
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