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Aufopferungsvoll auf Zeit gespielt

■ Verstoß gegen taktische Anweisung der Wattenscheider brachte einen Punkt

“Werder ist die stärkste Heimmannschaft. Das hat man heute wieder gesehen.“ Wir wissen zwar nicht, wo sich Wattenscheids Trainer Hannes Bongartz am Dienstag abend zwischen 20.00 und 22.00 Uhr aufgehalten hat, im Weserstadion jedenfalls kann er eigentlich nicht gewesen sein. Da hatten sich die Wattenscheider 90 Minuten lang in der hohen Kunst des Rückpasses geübt und damit der „besten Heimmanschaft“ die Grenze ihres fußballtechnischen Könnens aufgezeigt. „Die sind ja schlimmer als Waldhof Mannheim“, fluchten die Zuschauer unentwegt, und das ist ungefähr das Übelste, was Bremer Zuschauer über einen Gegner sagen können. Denn Waldhof war berühmt dafür, den Sinn des Fußballspiels in der größtmöglichen Verlängerung der Unterbrechungspausen zu sehen.

Waldhof ist abgestiegen, und Wattenscheid geht es auch schon ganz schlecht. Vier Spiele hintereinander hat der Bochumer Vorort-Verein verloren, unter anderem bei Werder-Konkurent Bayern mit 0:7. Und dabei immer „schön gespielt“, sagt zumindest Bongartz, dessen diesbezügliche Urteilskraft durchaus infrage steht. Die effektvolle Konsequenz des Trainers aus der Niederlagenserie: Statt in Schönheit abzusteigen, sollten seine Spieler „aufopferungsvoll arbeiten“.

Und das ging dann so. Regel 1: 20 Meter vor dem Strafraum stellen sich acht Wattenscheider auf. Anstürmende Werder-Spieler werden wahlweise umgerissen oder getreten. Bevor der Freistoß gespielt werden kann, wird erst einmal der Ball vom Ort des Geschehens möglichst weit weggetreten. Regel 2: Sollte es gelingen, Werders hilflosen Angreifern den Ball abzujagen, wird er umgehend über möglichst viele Stationen zum eigenen Torwart zurückgespielt. Urteil Bongartz zu dem erbärmlichen Gekicke: „Mit Sicherheit nicht zuschauerträchtig.“

Einmal in 90 Minuten wurde gegen diese Taktik eklatant verstoßen. In der 17. Minute verwechselte der Wattenscheider Dirk Kontny die Spielrichtung und gab aus etwa 60 Meter den Ball zu Werders Torwart Oliver Reck zurück. Dieser, vom Nichtstun schon ziemlich eingefroren, konnte seine erste Aktion offensichtlich nicht erwarten und lief dem Ball entgegen. Als Reck irgendwann merkte, daß der Ball über ihn hinwegzufliegen drohte, machte er sich zurück ins Tor, blieb dabei mit dem Stollen im Gras hängen und konnte im Fallen beobachten, wie sich das Leder ins Netz senkte. „Olli, Du Idiot“, brüllten die Zuschauer und Bongartz urteilte schadenfroh: „Ein Tor, wie alle fünf Jahre mal.“ Und diesmal hatte er tatsächlich genau hingeguckt. Immerhin brachte der schlafmützige Reck seine Mannschaftskollegen wenigstens für den Rest der ersten Halbzeit in Bewegung. Ergebnis: Das 1:1 durch den eifrigsten Werderaner, Uwe Harttgen, in der 34. Minute.

„So' ne Sache ist nicht einfach“, urteilte nach dem Spiel der von der Presse herbeizitierte Reck, der aussah, als käme er gerade von seiner eigenen Beerdigung. „Entweder ich komme darüber hinweg, oder ich muß zuhause bleiben.“ Und auf die Frage, was denn Trainer Rehhagel zu ihm gesagt habe: „Ach, nichts. Der Trainer und ich, wir kennen uns ja schon so lange.“ Sprach's, verabschiedete sich von den verdutzten Reportern mit einem „Schönes Wochenende“, und schlich von dannen.

hbk

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