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Brief an Scheherazade

■ Die rumänische Journalistin Annemarie Schuller-Weber kritisiert und unterstützt die „unzureichende Aktion“

„Ihre Scheherazade-Liste 'Nein zum Krieg‘ unterzeichne ich gerne mit, auch wenn ich diese Aktion selbstverständlich für unzureichend halte. Es beeindruckt mich immer wieder, wie schnell bei Ihnen spontane und spektakuläre Frauen- und Friedensaktionen ,greifen‘ — bei uns feht die dazu nötige politische Kultur weitgehend. Ich finde allerdings: Wenn wir diese und andere Bürgerrechtsbewegungen abkoppeln von den wirtschaftlichen und machtpolitischen Strukturen, in denen wir leben, können wir sie uns als ,schöne Initiativen‘ ,hinter den Spiegel stecken‘ — wie das bei uns heißt.

Während die PazifistInnen von Wien bis Berlin, die weißen Fahnen schwingend, nach Feierabend auf die Straße gehen, finanzieren sie tagsüber die Millionenbeträge mit, welche ihre Regierung für die Waffenbeteiligung im Golfkrieg ausgibt.

Während im letzten Jahr die Menschen in Deutschland Hunderttausende Care-Pakete nach Rumänien geschickt haben, war kein einziger deutscher Unternehmer bereit, ohne die Gewißheit eines baldigen Gewinns auch nur eine einzige unserer ruinösen Fabriken ökonomisch und ökologisch zu sanieren. Während Ihre Kinder täglich Orangensaft trinken können, müssen die Kinder von Kleinkopisch/Copsa Mica in Siebenbürgen auch weiterhin mit Brunnenwasser vorlieb nehmen, auf dem fingerdick der Ruß schwimmt, in dem Blei und Cadmium gelöst sind.

Viele Menschen der westlichen Wohlstandsgesellschaften sind bereit, ihre Freizeit und ihr Taschengeld für den Frieden und die Armen dieser Welt zu opfern.

Aber solange sie dabei die Gewinnideologie ihrer marktwirtschaftlichen Gesellschaft nicht in Frage stellen, beruhigen sie mit ihren großangelegten Hilfs- und Friedensaktionen nur ihr Gewissen — während die Politiker, die sie bezahlen, den dritten Weltkrieg und die globale Ökokatastrophe ungehindert vorantreiben.“

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