Treffen der Ministerpräsidenten der Länder mit Kanzler Kohl
: Pokern um die Kosten der deutschen Einheit

■ Heute reisen in Bonn die deutschen Länderchefs an, um mit Kohl über die Finanzlöcher der ostdeutschen Länder und Kommunen sowie die Neuverteilung der Kosten der Einheit zu beraten. Die Bundesregierung will die Kosten der Einheit vor allem den Ostdeutschen, den Arbeitern und Angestellten sowie den Städten und Gemeinden in Ost und West aufbürden.

Wenn sich heute Bundeskanzler Kohl mit den deutschen Länderchefs zusammensetzt, um über die ostdeutschen Finanzlöcher und eine Neuverteilung der Kosten der Einheit zwischen Bund, alten und neuen Bundesländern zu verhandeln, glauben die meisten BundesbürgerInnen zu wissen, worum es geht: Die reichen Westländer, Gewinner der Einheit, zieren sich, den armen Brüdern und Schwestern im Osten etwas abzugeben. Und schaufelt nicht der arme Bonner Finanzminister Theo Waigel allein 1991 70 Milliarden Mark in den Osten, während sich die alten Bundesländer mit lächerlichen drei Milliarden Mark aus der Affäre stehlen?

In der Tat, der Konjunkturboom im Westen, ausgelöst durch den Konsumrausch in Ost und West, hat die Steuereinnahmen auch der Westländer tüchtig vermehren können. Inbesondere die Umsatzsteuer ließ die Kassen unerwartet reichlich klingeln, und zwar umso mehr, je näher die entsprechenden Bundesländer an der Grenze zu den FNL liegen. Hamburg beispielsweise sackte fast 300 zusätzliche Millionen ein, satte zwei Prozent des Landeshaushaltes. Im ungleich größeren, aber ostferneren Nordrhein-Westfalen waren es immernoch 514 Millionen Mark, ein Prozent des Landeshaushaltes. Richtig ist auch, daß die Länder 1990 und 1991 zunächst nur mit recht bescheidenen Beiträgen am Transfer in den Osten beteiligt waren: Sie zahlten die ersten Zinsen für den kreditfinanzierten Bund/Länder-Fonds „Deutsche Einheit“.

In den Bonner Kassen klingelt's lauter

Damit sind die Wahrheiten der Bonner Botschaft aber auch schon erschöpft. Es gibt nämlich noch ganz andere. So klingelt's in den Bonner Kassen erheblich lauter als in denen der Länder: 65 Prozent der Umsatzsteuer landen bei Waigel, nur 35 Prozent bei den Ländern. Nur deshalb wurde übrigens die Mehrwertsteuer nicht angehoben — die Westländer hätten von dieser Erhöhung auch profitiert. Anders verhält es sich mit den jetzt beschlossenen Steuererhöhungen: Sie landen alle in die Kassen des Bonner Finanzministers. Während Länder und Gemeinden kaum über Steuererhöhungsspielraum verfügen, sich also zusätzlich verschulden oder öffentliche Leistungen streichen müssen, um Geld in den Osten zu schaufeln, kann Bonn sich selbsttätig die Kasse füllen.

Mit dem Zuschlag zur Lohn-, Einkommen- und Körperschaftssteuer sowie den Erhöhungen der Mineralöl- und Versicherungssteuer bedient sich der Bund direkt mit 20 Milliarden Mark. Als besonders perfide empfinden es die Länder, daß der Bund gleichzeitig Steuersenkungen beschlossen hat, die hauptsächlich von den Ländern zu tragen sind; allein die Abschaffung der Vermögenssteuer kostet Nordrhein-Westfalen 1,8 Milliarden und Hamburg 600 Millionen Mark pro Jahr. Umgekehrt sind die Länder und Gemeinden, die ja den allergrößten Teil der öffentlichen Lohnkosten bezahlen müssen, bei der Erhöhung der Sozialabgaben voll mit dabei. Auf deutsch: Länder und Gemeinden profitieren nicht von den Steuererhöhungen, sie bezahlen sie sogar mit und tragen fast allein die Last der Steuersenkungen. Das ist noch nicht alles: Bei dem imposanten Zahlenverhältnis von 70 zu 3 Milliarden Mark, das angeblich dem Osthilfeverhältnis zwischen Bonn und den Westländern entspricht, haben die Bonner Rechenkünstler gleich mehrfach geschummelt, wie die Finanzminister der Bundesländer nachweisen. So hat der Bund seinen Beitrag zum „Fonds Deutsche Einheit“ voll gerechnet, bei den Länderleistungen aber nur die jährlichen Zinslasten berücksichtigt.

Länder und Gemeinden profitieren nicht

Und während auf den Bund in erster Linie die Kosten der Anschubfinanzierung entfallen, die Ausgaben in den nächsten Jahren also tüchtig sinken, ist es mit den Westländerausgaben für den Osten genau umgekehrt: Sie steigen in den nächsten Jahren tüchtig an.

Bewußt außer acht gelassen hat der Bund, daß er im Gegensatz zu den Ländern echte Einsparungen, den Wegfall der Kosten der Teilung, realisieren kann. Diesen Betrag hat Waigel selbst auf 35 bis 40 Milliarden Mark jährlich beziffert. Das Ergebnis: Während der Bund sich über beträchtliche Spargewinne und Steuermehreinnahmen freuen kann, während seine Ausgaben für den Osten von Jahr zu Jahr sinken, sieht es bei den Ländern und Gemeinden genau umgekehrt aus. Bis auf die Steuermehreinnahmen durch den Wirtschaftsboom (Umsatzsteuer) profitieren sie nicht von der Einheit, tragen aber einen Gutteil der Einheitskosten im Westen. Das sind nicht nur die höheren Beiträge zur Arbeitslosenversicherung im Öffentlichen Dienst, sondern vor allem auch die Kosten bei Sozialhilfe und sozialem Wohnungsbau für den anhaltenden Zustrom aus dem Osten.

In den SPD-regierten Ländern des Nordwestens hatte man deshalb gehofft, mit den armen neuen Ländern im Osten eine gemeinsame Front gegen Bonn und die an die Parteikandare genommenen reichen Unionsländer Bayern und Baden-Württemberg aufbauen zu können — ein Fehlschluß, wie sich beim Treffen der Länderfinanzminister aus West und Ost Ende vergangener Woche zeigte; die A-Länder (SPD) standen gegen die B-Länder (Union). Zwar waren sich alle über das Angebot der Westländer einig, den Osten sofort in den vollen Genuß des Umsatzsteueranteils kommen zu lassen und nicht erst stufenweise — was die Leistungen der Westländer bis 1994 um 20 auf insgesamt über 80 Milliarden Mark anschwellen läßt. Aber: Der von den SPD-Ländern geforderten Verzicht auf das CDU/FDP-Wahlgeschenk der Abschaffung der Vermögens- und Gewerbekapitalsteuer, die allein Länder und Gemeinden (auch im Osten!) zu tragen haben, wurde von den Unionsländern abgelehnt.

Machtbastion gegenüber Länderkompetenzen

Noch unverständlicher, daß sich die ostdeutschen unionsregierten Länder im zentralen Streitpunkt mit Bonn mit einer windelweichen Erklärung zufrieden geben wollen. 20 Prozent der Ostländerhaushalte entfallen nämlich auf die Subvention von Mieten, Nahverkehr und Energie, ein Betrag der nach Auffassung der Länder als Kosten der Einheit vom Bund getragen werden sollte — womit die größte Finanzlücke in den Osthaushalten auch geschlossen wäre. Die von den Christdemokraten regierten Länder werden vom Bonner Kanzler heute jedoch nur weitere, gesonderte Verhandlungen, nicht aber Klarheit verlangen.

Bei den SPD-geführten Ländern macht sich Bitterkeit breit. Trotz einer weithin übereinstimmenden Interessenlage zwischen allen Bundesländern könne Kanzler Kohl mit seiner Teile-und-herrsche-Taktik durchgehend Erfolge verbuchen. Der Bund habe seit Beginn des Einheitsprozesses seine Machtbastion gegenüber den föderalen Länderkompetenzen erheblich ausbauen können. Florian Marten