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Der Krieg am Golf kostet auch morgen noch Geld

„Die finanzielle Abrechnung steht noch aus“: Kriegssteuerboykott soll mit dem Ende der Kampfhandlungen nicht aufhören/ Betriebe verweigern Zahlungen  ■ Von Bettina Markmeyer

Bochum (taz) — „Selbst meine Kinder müssen manchmal mithelfen“, dennoch könne er, so der Solinger Reinhard Egel von der Friedenssteuerinitiative, die Flut von brieflichen und telefonischen Anfragen kaum bewältigen. Fast 10.000 Broschüren Kein Geld für Krieg hat die Initiative bereits verschickt. „Ein Wahnsinnsboom“, der aber erst zum Kriegsbeginn „und keinen Tag eher“ eingesetzt habe, wie Egel bemerkt.

Auch die Medien, die den engagierten Pazifisten in diesen Wochen häufig konsultieren, hätten sich „sehr gewandelt“. Jahrelang galt, was die kleine Gruppe bundesweit verstreuter Friedenssteuer-AktivistInnen bereits seit acht Jahren tut, als abwegiges Aufbegehren, galt der kleine Streit mit dem Finanzamt auch in der Friedensbewegung als Kraftverschwendung am falschen Ort.

Das ist nun anders, erneut zeigt sich, daß das zähe Festhalten am einmal gewählten Thema ganz plötzlich auf ein riesiges Informationsbedürfnis stößt. Nicht mehr nur Einzelne interessieren sich für Lohn-, Kraftfahrzeug-, Hundesteuer- oder Telefonzahlungs-Boykott. Zunehmend gehen Betriebe und Selbständige mit Boykotterklärungen an die Öffentlichkeit. Bis sich der Protest verbreiterte, dauerte es ein paar Wochen. Doch er soll mit Kriegsende nicht aufhören, denn „die finanzielle Abrechnung dieses Krieges steht noch aus“, so Achim Schmottlach, Chemielaborant in der Wuppertaler Laborgemeinschaft „Indikator“. Zwölf Betriebe und Vereine haben sich in der Stadt unter der Schwebebahn zusammengefunden, in Bochum veröffentlichten am letzten Samstag über 20 Betriebe eine Kriegssteuerboykotterklärung im Regionalblatt 'WAZ‘, in Dortmund sind es bisher knapp 20, in Hannover inzwischen fast 30 zahlungsunwillige Betriebe und Vereine.

Die Wuppertaler und Bochumer werden die Steueranmeldungen für Februar dem Finanzamt wie üblich vorlegen. Ihre gesamte Lohn-, Einkommen- und Umsatzsteuer überweisen sie jedoch auf jeweils betriebseigene Sperrkonten, weil, so Schmottlach, „Steuern grundsätzlich nicht zweckgebunden sind und alle Steuern Kriegssteuern sein können“. Die Hannoveraner Betriebe boykottieren dagegen mit 20 Prozent nur den Steueranteil, der in die Rüstung geht. Man boykottiere, heißt es in Wuppertal, „bis sichergestellt ist, daß die Beiträge nicht für Zwecke verwendet werden, die der Durchführung von Kriegen dienen“.

Tasächlich wird die Dauer des Boykotts aber wohl von der Schnelligkeit der Finanzämter abhängen. Je nach Steuerart, Finanzamt, Stadt und Bundesland läuft es ein bißchen anders. „Man sollte immer SteuerberaterInnen und RechtsanwältInnen fragen“, meint Egel. „Steuerverweigerung“, so die Friedensinitiative in ihrer Broschüre sehr treffend, „ist eine eher nüchterne und langfristige Angelegenheit.“

Grundsätzlich gilt zu Thema Lohn-, Einkommen- und Umsatzsteuer etwa Folgendes: In Alternativbetrieben ohne ausgewiesene ArbeitgeberInnen und ArbeitnehmerInnen werden die Boykottbeschlüsse zumeist einvernehmlich gefaßt. Die Geschäftsführung übernimmt dann den Finanzamt-Blues. In sogenannten normalen Betrieben hingegen können die ArbeitnehmerInnen in der Chefetage beantragen, ihre Lohnsteuern niedriger oder auf null festzusetzen, da sie aus Gewissensgründen Zahlungen für den Krieg verweigern wollen. ArbeitgeberInnen können dann aus ihrer Fürsorgepflicht für die Beschäftigten heraus entsprechend reagieren. Eine Ordnungswidrigkeit begehen sie solange nicht, wie sie die zu zahlenden Steuern ordnungsgemäß anmelden, sondern erst dann, wenn sie die Steuern tatsächlich nicht zahlen. Darauf steht eine Geldstrafe bis 10.000 D-Mark.

ArbeitnehmerInnen können aber auch — da Arbeitgeber sich gewöhnlich auf den Boykott nicht einlassen — selbst beim Finanzamt Gewissengründe geltend machen und in ihrem Antrag darauf verweisen, daß das Amt ihnen nach der Abgabenordnung die Lohnsteuer erlassen oder niedriger ansetzen kann. „Das“, so Reinhard Egel, „ist ein Rechtsakt.“ Über diese Möglichkeit wüßten bisher nur wenige Menschen Bescheid. Gegen den ablehnenden Bescheid des Finanzamtes könne man dann Einspruch erheben und im weiteren Verlauf klagen. Damit könne jeder Stellung beziehen, meint Egel, wenngleich die Lohnsteuern unterdessen normal eingezogen würden.

Mit dem Finanzamt auf Du und Du

Ein Beispiel aus dem selbstverwalteten Bereich: Die bäuerlich-alternative Genossenschaft Wurzelwerk boykottiert die Lohn- und Umsatzsteuern und hat dies dem Finanzamt in einem freundlichen Brief begründet. Dieses schickt dann normalerweise einen freundlichen Brief zurück, in dem steht, warum auch das Wurzelwerk seine Steuern zahlen muß. Nach einigen Wochen kommt die erste Mahnung. Reagieren die Gemahnten nicht, flattert nach weiteren Wochen eine zweite Mahnung ins Haus, in der die Vollstreckung angedroht wird.

Danach kann das Finanzamt Geschäftskonten sperren oder pfänden oder auch einen Vollzugsbeamten schicken, der die überfälligen Steuern abholen soll. Im Unterschied zu anderen Behörden brauchen Finanzämter nicht erst vor Gericht zu ziehen, um einen Zahlungsbefehl vollstrecken zu lassen, sondern können dies selbst tun. Da Vollzugsbeamte nur wenige Möglichkeiten haben, auf normale Gebrauchsgegenstände wie beispielsweise die Absackwaage in der Wurzelwerk-Scheune ihren Kuckuck zu kleben, wird sich das Finanzamt wahrscheinlich an die Konten halten, die es kennt, und diese pfänden. Hat das Wurzelwerk — der überaus wahrscheinliche Fall — nicht genug Geld auf seinem Geschäftskonto, wird es gesperrt, bis die fehlenden Steuern entrichtet sind.

Damit ein Betrieb trotz Boykott nicht lahmgelegt werde, könne man dem Finanzamt, so Carola Moss, Boykotteurin aus einer Tischlerei in Hannover, aber auch die Sonderkonten angeben, auf die die zurückgehaltenen Steuern ja überwiesen wurden. Falls man überhaupt so weit gehe — denn bezahlen kann man zu jedem Zeitpunkt des Mahn- und Vollstreckungsverfahrens.

Weiter: Während das Finanzamt unsere zahlungunwilligen WurzelwerkerInnen mahnt, vergeht Zeit. In dieser Zeit fallen Säumnisgebühren an. Sie betragen ein Prozent von der Steuerschuld je angefangenem Monat. Enthält also die aufmüpfige Genossenschaft 20 Prozent von den Lohnsteuern ihrer geschätzten MitarbeiterInnen dem Finanzamt vor, werden die Säumnisgebühren von diesem Betrag berechnet. Gingen die Wurzelwerk-Beschäftigten radikaler vor und überwiesen gar keine Steuern, müßten sie bei entsprechend höherer Steuerschuld entsprechend höhere Säumnisgebühren bezahlen. All das bis zu dem Tag, an dem die bäuerlichen GenossInnen, um weiter Möhren und Rettich anbauen zu können, schließlich ihre Steuern doch zahlen.

Proteste noch kaum vernetzt

Der offenbar dringend notwendige Austausch zwischen den BoykotteurInnen in verschiedenen Städten funktioniert derzeit noch kaum. Auf dem bundesweiten Treffen der Friedenssteuerinitiative am kommenden Wochenende in Freiburg sollen daher Regionalgruppen entstehen, um den jetzt breiten Steuerprotest zu vernetzen und längerfristig auf die „Befreiung vom Militärsteuerzwang hinzuarbeiten“ (Friedenssteuerinitiative). Auch im kirchlichen Bereich, besonders in der evangelischen Kirche im Rheinland und in Hessen, hat die Aktion „Steuern zu Pflugscharen“ derzeit so großen Zulauf, die sich auch um Zusammenarbeit mit KatholikInnen bemüht.

Kontakte: Ökumenische Aktion „Steuern zu Pflugscharen“ (für kirchliche MitarbeiterInnen): Martin Arnold, Neißestr. 4, W-4300 Essen 1 — Initiative „Kein Geld für Krieg“: Reinhard Egel, Wichernstraße 9, W-5650 Solingen.

Wegen völliger Überlastung der AktivistInnen Anfragen nicht telefonisch, sondern nur schriftlich. Die Adresse des Büros, das am Wochenende beraten werden soll, wird in der taz veröffentlicht.

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