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Helmut Kohl: Ich bin kein Steuerlügner

Der Kanzler rechtfertigt sein Steuererhöhungspaket/ Volle Umsatzsteuerbeteiligung für die neuen Länder/ SPD-Länder wollen ihre Zustimmung nicht an die Vermögensteuerfrage koppeln  ■ Aus Bonn Gerd Nowakowski

Vor dem Treffen der Ministerpräsidenten der Bundesländer mit dem Bundeskanzler über zusätzliche Finanzhilfen für Ostdeutschland am gestrigen Nachmittag zeichnete sich eine Annäherung der Positionen ab. Danach stimmen die alten Bundesländer einstimmig einer Umverteilung der Umsatzsteuer für 1991 zu, damit die neuen Länder ihren vollen Anteil erhalten. Bislang bekamen die neuen Länder lediglich 55 Prozent. Die Zustimmung bringt Ostdeutschland für dieses Jahr fünf Milliarden Mark mehr.

Die SPD-Länder rückten von der Bedingung ab, einer Erhöhung des Umsatzsteueranteils nur zuzustimmen, wenn die Bundesregierung auf die Abschaffung der Vermögen- und Gewerbekapitalsteuer verzichtet. Der schleswig-holsteinische Ministerpräsident Engholm (SPD) deutete an, daß ein völliger Wegfall nicht vertretbar sei, eine Senkung aber hinnehmbar, wenn die Länder dafür einen „vollen Ausgleich“ erhielten. Von der ultimativ angedrohten Blockade der SPD-Länder im Bundesrat war nicht mehr die Rede. Einig sei man sich, daß die Länder bei der Neuverteilung der Umsatzsteuer als „Kompensation“ vom Bund an einer anderen Finanzquelle beteiligt werden müßten. Dafür gäbe es nach Engholms Worten „eine Fülle von Möglichkeiten“.

Vom Tisch war bereits vor dem Treffen mit dem Kanzler die zuvor aufgestellte Forderung der SPD-regierten Länder, auch an der von der Bundesregierung für ein Jahr beschlossenen Ergänzungsabgabe von 7,5 Prozent auf die Lohn- und Einkommensteuer beteiligt zu werden. Die Länder erhalten vom Aufkommen der regulären Lohn- und Einkommensteuer normalerweise 42,5 Prozent; die Gemeinden weitere 15 Prozent. Der von der Bundesregierung beschlossene Aufschlag fließt dem Bund dagegen in voller Höhe zu.

Am Vormittag hatte der Bundeskanzler die Steuererhöhungen und die bisherigen Hilfen für Ostdeutschland verteidigt. Als „Steuerlügner“ wollte er sich nicht bezeichnen lassen. Er habe sich lediglich geirrt; beispielsweise über den so nicht erwarteten nahezu vollständigen Zusammenbruch des Osthandels der ehemaligen DDR. Deshalb sei er von „Grundlagen ausgegangen, die nicht tragfähig waren“, sagte Kohl. Die Steuererhöhungen nannte der Kanzler „sozial ausgewogen“ und verbürgte sich dafür, daß die Ergänzungsabgabe auf die Lohn- und Einkommensteuer auf ein Jahr begrenzt sei. Man werde auch über die Aufgaben der Treuhand „nachdenken und nachzubessern“ haben, kündigte der Kanzler an. So sollen die Länder mehr Mitwirkungs- und Einspruchsmöglichkeiten bekommen.

In Ostdeutschland haben sowohl Betriebe als auch Gewerkschaften und Landesregierungen Kritik an der rigorosen Liquidationspolitik der Treuhand geübt, die derzeit lediglich diejenigen Betriebe aufrechterhält, die bereits jetzt rentabel arbeiten. Notwendig aber seien angesichts der katstrophalen Lage auf dem Arbeitsmarkt längerfristige Stützungsmaßnahmen, um die Wettbewerbsfähigkeit zu erreichen. Bei den zusätzlichen Finanzhilfen verwies Kohl auf das Sofortprogramm über fünf Milliarden Mark für kommunale Investitionen mit hoher Beschäftigungswirkung, sieben Milliarden Mark für Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen und das Personalkosten-Zuschußprogramm, mit dem die Entsendung von über 4.000 Fachkräften in Verwaltung, Justiz und Grundbuchämter bezahlt werden könne.

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