„Noch nicht zu spät“ für israelischen Angriff

Israel fordert die Zerstörung irakischer Raketenbasen/ „Es gibt keinen Grund mehr für Zurückhaltung“  ■ Von Amos Wollin

Tel Aviv (taz) — „Es ist noch nicht zu spät für einen israelischen Angriff auf den Irak“, erklärte gestern abend der Generalstabschef der israelischen Armee, Dan Shomron, „solange die Raketenbasen im Irak existieren, ist es nie zu spät.“ Auch der stellvertretende israelische Außenminister Benjamin Netaniahu begrüßte am Donnerstag zwar den „ruhmvollen Sieg der USA und ihrer Alliierten“, forderte jedoch in der Folge „die Zerstörung aller irakischen Raketensysteme und der chemischen, biologischen und nuklearen Infrastruktur des Irak“. Notfalls, so Netaniahu, müsse Israels Armee diese Aufgabe selbst übernehmen. Außerdem habe Israel die Absicht, von Bagdad Reparationszahlungen zu fordern, erklärte der stellvertretende Außenminister. Ein Kriegsende ohne die Zerstörung der irakischen Raketenbasen und der Beseitigung des Regimes von Saddam Hussein wird von den Regierungsstellen in Jerusalem mit Sorge als „unvollständiger“ Sieg angesehen. Der Druck auf die USA wächst, sich nicht „alleine mit der Eroberung des südlichen Irak und der Zerstörung noch mehr Panzer zufriedenzugeben“, wie der ehemalige israelische Militärattaché in Washington, General Uri Simhoni, sagte. „Die USA müssen etwas tun, um Saddam zu stürzen.“

Direkte Intervention Israels?

Und die Stimmen mehren sich, die nun die direkte Intervention Israels fordern. „Die Situation ist jetzt eine andere“, beschreibt dies etwa Reservegeneral Avigdor Kahalani, „die Alliierten haben ihre Ziele erreicht, die Syrer und Ägypter haben an der Rückeroberung Kuwaits teilgenommen. Es gibt keinen Grund mehr für israelische Zurückhaltung in Bezug auf die Scud-Raketen“, fährt Kahalani fort und trifft damit eine in Israel verbreitete Stimmung. „Wir müssen auch ein paar Jahre vorausdenken, wie wir uns fühlen werden, wenn wir überhaupt nicht auf die Raketenangriffe reagieren.“

Derweil hat die israelische Armee am Donnerstag den „zivilen Ausnahmezustand“ aufgehoben. Damit ist es der israelischen Bevölkerung erstmals seit Beginn der irakischen Raketenangriffe erlaubt, ohne Gasmaske in der Tasche das Haus zu verlassen und die Zimmer zu öffnen, die zum Schutz vor möglichen irakischen Chemiewaffenangriffen eigens abgedichtet worden waren.

Die Ausgangssperre für die PalästinenserInnen in den von Israel besetzten Gebieten hingegen behält auch trotz der Feuerpause weiterhin Gültigkeit, sagte ein Militärsprecher. Die Lage werde überprüft.

Poker um neue Ordnung in Nahost

Neuen Auftrieb erhalten die Hardliner durch den Tod eines 25jährigen Israeli, der gestern in der Jerusalemer Altstadt erstochen aufgefunden wurde. Die Polizei geht bei dem Mord von „nationalistischen Motiven“ aus. Mit dem für die kommende Woche angesetzten Besuch des Us- Außenministers Baker in Israel steht ein erster US-israelischer Poker um die „neue Ordnung“ im Nahen Osten an. Washington scheint von sich aus nicht die Absicht zu haben, eine internationale Friedenskonferenz für die Region einzuberufen. Aber insbesondere wenn die europäischen Regierungen Druck in diese Richtung ausüben, mag Baker eine solche Konferenz als Drohung dienen, falls die US-amerikanischen Pläne auf israelischen Widerstand stoßen. Es wird jedoch davon ausgegangen, daß die Diplomaten des State Department zunächst im Wesentlichen an die im Mai 1989 von der israelischen Regierungen formulierten Positionen anknüpfen: bilaterale Verhandlungen Israels mit einzelnen arabischen Staaten, während mit nicht zur PLO zählenden Palästinensern in den besetzten Gebieten über „lokale Selbstverwaltung“ unter dauerhafter israelischer Besatzung gesprochen wird. Daß Baker bei seinem Besuch auf einen Dialog zwischen Israel und der PLO drängen wird gilt derweil als ausgeschlossen, da die PLO durch ihre Unterstützung Saddam Husseins auch für Washington „diskreditiert“ ist.

Verhandlungen mit Syrien

In der Arbeiterpartei wird indessen kontrovers über mögliche Verhandlungen mit Syrien diskutiert, die Parteichef Shimon Peres vorgeschlagen hatte. Deren Knackpunkt, eine Rückgabe der 1967 von Israel eroberten und 1982 annektierten Golan-Höhen, steht für die meisten nicht zur Debatte. Extreme Kreise der Regierung mit Wohnungsbauminister Ariel Sharon als ihrem Sprecher hingegen wollen im Windschatten der irakischen Niederlage jetzt vielmehr auch noch die Annektion der Westbank durchsetzen.