: Konkret sanft oder radikal kritisch
■ Ein Selbstporträt der Arbeitsgemeinschaft "Tourismus mit Einsicht" von K.Ludwig und J.Hammehle
Ein Selbstportrait der Arbeitsgemeinschaft „Tourismus mit Einsicht“ VON K. LUDWIG und J. HAMMEHLE
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ourismus ist wie Müll. Zuerst kommt es darauf an, ihn zu vermeiden ...“, bringt der Frankfurter Kulturwissenschaftler Dieter Kramer die Problematik auf den Punkt. Dieser kühne Vergleich wird nicht einmal unter Tourismuskritikern auf uneingeschränkte Zustimmung stoßen. Doch andererseits können auch die Touristiker ihre Augen nicht länger davor verschließen, daß die Grenzen des Wachstums gerade in ihrer Branche erreicht sind: Verschmutzte Strände oder verbaute Berge laden nun einmal keine Kunden ein und allzuviel Terrain, das noch erschlossen werden könnte, steht auf dieser Erde nicht mehr zur Verfügung.
Offensichtlich muß etwas geschehen — zumindest verbal —, und so sind Schlagworte wie „sanfter“ oder „umweltverträglicher“ Tourismus heute in aller Munde. Manche Unternehmen deuten sogar Taten an und schmücken sich mit Umweltbeauftragten. Ob derartige Initiativen jedoch mehr sind als Konzessionen an den Zeitgeist und deren tatsächlicher Einfluß über die Verpackungsart des Frühstücks im Hotel hinausreicht, bleibt abzuwarten.
Aber nicht nur Tourismus-Betreiber machen sich Gedanken über die Zukunft der Branche. Auf der Internationalen Touristenbörse (ITB) des Jahres 1986 überlegten sich Organisationen aus dem entwicklungs- und umweltpolitischen, kirchlichen, wissenschaftlichen und touristischen Bereich, wie ihre Kritik an der herrschenden touristischen Praxis in konstruktive Aktionen umgesetzt werden kann. Die Krise des Tourismus offenbarte sich für sie vor allem in folgenden Punkten:
—Ausverkauf von traditioneller Kultur in den ärmsten Ländern der Erde;
—Überlastung von Landschaft durch Verkehr und Bauboom;
—Gefährdung von Bergregionen durch planierte Pisten und verdrahtete Hänge, die das Sterben der Wälder mitverantworten;
—hektisches und oberflächliches Abhaken von Sehenswürdigkeiten;
—Sextourismus und mehr oder weniger offensichtlicher Rassismus;
—immer mehr Ungleichgewicht in einer immer kleineren Welt ...
Aus dieser Initiative entstand die Arbeitsgemeinschaft „Tourismus mit Einsicht“ (TmE), die 1987 zum ersten Mal an der ITB teilnahm. Die Präsenz wuchs von Jahr zu Jahr und inzwischen gehören der AG 27 Organisationen aus zehn verschiedenen Staaten an. Neben dem deutschsprachigen Raum zählen dazu auch Gruppen aus England, Italien, Indien, Thailand u.a.
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ach wie vor ist die ITB ein zentrales Ereignis für die Arbeitsgemeinschaft. Auf der größten touristischen Nabelschau der Welt, wo es überwiegend um Werbung und Verkauf geht, sollen neue Akzente gesetzt und Denkanstöße gegeben werden. Dazu dienen neben einem großen Stand etliche Einzelveranstaltungen zu bestimmten Themen (siehe vorige Seite). Ein Schwerpunkt im vergangenen Jahr war beispielsweisezum eine Informationsveranstaltung zu „Tourismus, Prostitution, Aids“. Sudarat Srisang, einer Frauenrechtlerin aus Bangkok, berichtete dort von ihrer Arbeit gegen die sich ausbreitende Kinderprostitution in Asien. (Westliche Männer sehen darin das sicherste Mittel gegen Aids.) Es gehört zum Selbstverständnis von TmE, die Betroffenen aus den touristischen Zielgebieten selbst zu Wort kommen zu lassen, denn niemand kann deren Anliegen besser vertreten.
Mit zunehmender Bekanntheit kommt auch zwischen den Tourismus-Börsen immer mehr Arbeit auf die AG zu. Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter halten Vorträge und Seminare ab, initiieren Kampagnen zu bestimmten Themen, nehmen zur aktuellen touristischen Entwicklung Stellung, vermitteln Experten und erstellen Publikationen. Schließlich geht es auch um die internationale Vernetzung der Tourismuskritiker. Das ist vor allem für Organisationen in der sogenannten „Dritten Welt“ wichtig, wo der Widerstand gegen weitere touristische Erschließungsprojekte bisweilen lebensgefährlich sein kann.
Die Aktivitäten einer so heterogenen AG bewegen sich zwangsläufig zwischen unterschiedlichen Positionen. Besonders in der Frage wie weit die Bewegung Teil des touristischen Systems sein kann (darf), oder ob sie besser aus unabhängiger Position von außen agiert, gehen die Meinungen auseinander. Konkret wird diese Problematik schon bei der Teilnahme an der ITB. Ist es wirklich eine Chance, kritisches Gedankengut in eine Verkaufsmesse zu tragen und damit vielleicht einige Menschen zum Nachdenken zu bewegen? Oder dient TmE der Messeleitung als liberales und ökologisches Feigenblatt, mit dem sich in einer Gesellschaft, die Pluralismus zu einem hohen Wert erhebt, auch Großveranstalter gern schmücken?
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iese Problematik zieht sich wie ein roter Faden durch die gesamten Aktivitäten. Ist es sinnvoll, etwa als Berater für den Deutschen Reiseverband zu fungieren, der sanften Tourismus kaum mehr als ein modisches Anhängsel betrachtet, um den Zug der Zeit nicht ganz zu verpassen?
Wenn die AG eine solche Zusammenarbeit grundsätzlich ablehnt, bringt sie sich um jede Einflußnahme auf die Verbandspolitik und es gibt schließlich genug Beispiele, wie Gesellschaftskritik ohne konkrete Umsetzung zum bloßen Sektierertum verkommt. Sucht sie den Kontakt, läuft sie Gefahr, von kommerziellen Veranstaltern und Interesengruppen vereinnahmt zu werden, die insgesamt sicher andere Ziele vertreten.
Und schließlich die grundsätzliche Frage zum Selbstverständnis: Geht es nur darum, die Verantwortung und Sensibilität der Reisenden zu erhöhen, damit sich der Tourismus langfristig nicht den Ast absägt, auf dem er sitzt; oder muß der Tourismus grundsätzlich in Frage gestellt werden, damit sich im Sinne von Dieter Kramer die noch recht revolutionäre Erkenntnis verbreiten kann, daß der Verzicht auf Reisen nicht einen Verzicht auf Urlaub und Erholung bedeutet?
Allgemeingültige Auswege aus der Spannung von Realpolitik und Fundamentalkritik gibt es natürlich nicht und TmE ist immer auch auf konstruktive Kritik von außen angewiesen, um seine Standpunkte zu überdenken. Letztlich kann jede Organisation nur selbst über ihre jeweiligen Positionen, Partner und Schwerpunkte entscheiden. Genau das ist das Verständnis von TmE, denn der Dachverband sieht sich keinesfalls als übergeordnetes Entscheidungsgremium, sondern lebt nicht zuletzt von der heterogenen Zusammensetzung und Politik seiner Mitgliedsorganisationen. Alle Arbeit wird ehrenamtlich erledigt; alle Entscheidungen , die TmE als ganzes betreffen fallen auf dem Plenum. Dabei arbeiten „Realos“ und „Fundis“ ungeachtet aller Unterschiede konstruktiv zusammen.
Der TmE-Stand auf der ITB '91 ist in Halle 11.2 — Kontaktadresse: c/o Herbert Hamele, Mendelsonstr. 34, 8000 München 60
Mitgliedsorganisationen:
Ideelle Unterstützergruppen:
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