: Rückgaberegelung steht zur Disposition
■ Enteignungen: Entschädigung vor Rückgabe?/ Bundesrat debattiert Eigentumsprobleme im Osten
Bonn (dpa) — Angesichts der dramatisch wachsenden Arbeitslosigkeit in den neuen Bundesländern hat der Bundesrat gestern weitergehende Maßnahmen zur Lösung der Eigentumsprobleme mit ehemals volkseigenen Unternehmen gefordert. Der Bund solle kurzfristig ein Entschädigungsgesetz und eine Altschuldenregelung für Betriebe vorlegen, forderte die Ländervertretung. Inzwischen deuten sich grundsätzliche Meinungsverschiedenheiten sowohl innerhalb der Länderkammer als auch innerhalb der Bundesregierung an, die Ansprüche von SED- Enteigneten nach dem bisherigen Grundsatz „Rückgabe vor Entschädigung“ zu regeln. Dem von der Regierung vorgelegten Gesetzentwurf zur Beseitigung von Hemmnissen bei der Privatisierung und zur Förderung von Investitionen im Osten stimmte der Bundesrat weitgehend zu. Er verlangte aber die Ergänzung durch ein Entschädigungsgesetz für nicht zurückgegebenes Eigentum. Außerdem solle kurzfristig eine Altschuldenregelung vorgelegt werden, damit ehemalige Eigentümer nicht durch übermäßige Altschulden von einem wirtschaftlichen Neuanfang abgehalten werden.
Bundesjustizminister Klaus Kinkel (FDP) erklärte, der Bund sei mit seinem Gesetzentwurf an die Grenze des Möglichen gegangen. Der Grundsatz „Rückgabe vor Entschädigung“ könne aus Verfassungsgründen nicht aufgegeben werden.
Demgegenüber vertrat Bundeswirtschaftsminister Möllemann gestern die Auffassung, angesichts der wirtschaftlichen Misere in den neuen Ländern müsse das bisherige Prinzip zur Diskussion gestellt werden.
In diesem Sinne hatte sich auch der brandenburgische Justizminister Otto Bräutigam während der Bundesratssitzung geäußert. Der wirtschaftspolitische Sprecher der SPD, Wolfgang Roth, begrüßte Möllemanns Sinneswandel und nannte den Vorrang der Rückgabe das „Haupthindernis für einen Aufschwung“.
Zum Thema Rüstungsexporte forderte der Bundesrat, die im Regierungsentwurf zur Verschärfung des Außenwirtschaftsgesetzes vorgesehene Mindeststrafe für illegale Exporte von Rüstungsgütern und den Bruch von Embargo-Beschlüssen von einem auf zwei Jahre anzuheben. Für fahrlässige Verstöße gegen das Außenwirtschaftsrecht solle die Höchststrafe drei statt zwei Jahre betragen. Bei verhängten Strafen von mehr als zwei Jahren sollte auch das gesamte Vermögen der Verurteilten eingezogen oder die Haftstrafe um bis zu zwei Jahre erhöht werden.
Die SPD-regierten Länder Schleswig-Holstein, Nordrhein- Westfalen und Saarland forderten außerdem, das geplante Ausfuhrkontrollamt der Aufsicht des Bundeswirtschaftsministeriums zu entziehen sowie in der Verfassung Waffenexporte auf Nato-Länder oder gleichgestellte zu begrenzen.
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