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Glückliche Pfalz, lächelndes Äthiopien

■ Impressionen aus einer schöneren Welt/ Ein Rundgang durch die Internationale Tourismus Börse ITB

Charlottenburg. »Lächelndes Äthiopien — 13 Monate Sonnenschein.« So kann man es auch sehen. Ein paar Schritte weiter der »faszinierende Sudan«. Drei schwarze Kinder an einem endlosen, ansonsten menschenleeren Sandstrand mit sanfter Brandung und Palmen im Wind — das ist Sierra Leone »das Juwel Afrikas«. Wer dieser Tage durch die Messehallen spaziert, dem strahlen genau 156 Länder entgegen, voll Sonnenschein, Lächeln und Glück.

Der Irak ist nicht dabei. Dafür aber zum ersten Mal seit 15 Jahren wieder der Iran. Unter dem Foto von Staatspräsident Rafsandschani zeigt man Holzeinlegearbeiten, bunte Tücher und Messinggefäße. Ein schwer folkloristisch gewandeter Herr schenkt Tee in winzige Gefäße. Gleich nebenan lächelt Gaddafi auf die Verlockungen seiner sozialistischen Republik herab. Zwei müde dickliche Pharaonen schwitzen gleich um die Ecke auf Klappstühlen fürs Vaterland am Nil.

Politik hat in dieser schönen neuen Welt nichts verloren. Konsequenterweise endet deshalb auch die lange und segensreiche Geschichte von Mecklenburg-Vorpommern in ihrer Hochglanzversion am Ende des 2. Weltkrieges. Genau entgegengesetzt Kamerun: Dort beginnt sie mit der letzten Fußball-WM. Seither ist man wer auf diesem Erdball.

Wen dies noch nicht genügend einstimmt, der kann gleich um die Ecke im »afrikanischen Dorf« exotische Luft schnuppern: Ausgestopfte Löwen stehen um einen künstlichen Wasserfall herum, der sich auf Plastikfarne ergießt. Umrankt ist dieser Neger-Gral mit denselben Azeleen, die ein paar Hallen weiter kombiniert mit Plastikweinlaub für das Rheinland werben.

Und alle bieten sie dasselbe: Bunt bemalte Hostessen, meist Berliner Studentinnen, seltener Landeskinder — lächeln mit exotischen Zahnpasta- Schönheiten auf Postern um die Wette. Letztere sitzen gerne leicht bekleidet in der Gischt oder locken geheimnisvoll verführerisch aus bunten Schleiern heraus. Die Hostessen vor Ort wiederum tragen zu 80 Prozent adrett drapierte Schals. Unterstützt werden die schönen Damen von wichtigen Herren in dunklen Anzügen, gelegentlich auch von echten Original-Kunsthandwerkern. Die haben in der Regel tolle faltig- sonnengegerbte Gesichter und sitzen seit Jahrtausenden auf Ikeastühlen, um ihren uralten Volkskünsten nachzugehen — sei's im Fichtelgebirge, sei's hoch droben in den Anden. Die Landschaft wiederum, in der solcherlei Mundbläsereien, Holzschnitzereien oder Tonarbeiten entstehen, ist prinzipiell unberührt, einzigartig, atemberaubend. Und vor allem überfüllt mit seltensten Tieren, Pflanzen und Eingeborenen — vom Alligator bis zum Aborigine, vom Kameltreiber bis zur pfälzischen Weinkönigin.

Und dies sofort auf Knopfdruck, gebührenfrei, bargeldlos, Plastikkärtchen genügt. Die schöne neue Welt ist nämlich in Wirklichkeit ein gigantisches, friedliches Gewirr von Kabeln und Leitungen. Jeder kommuniziert mit jedem. Per Telefon, Fax, Telex und mittels zahlloser internationaler Computerbuchungsnetze jagen die Dollars glückspendend nur so um den Erdball. Jeder Einwohner dieses wunderbaren Planeten hat 1990 alleine durch die Segnungen des Tourismus 46 Dollar eingenommen. Insgesamt betrug der Weltumsatz 230 Milliarden Dollar, bei einer Steigerung von zehn Prozent gegenüber dem Vorjahr.

Sorgen machte nun allerdings der Golfkrieg. Der habe »der Wachstumsbranche Nummer 1 einen unerwarteten Schlag versetzt«, beklagte denn auch AMK-Chef Busche in seiner diesjährigen Eröffnungsansprache. Doch der nette Herr unter dem Porträt seiner Hoheit des Sultans von Oman lächelt und sagt »It's only psychological«. Das ginge vorüber. Hoheit trägt tolle Klunker an den Fingern. Und Hoheits Reich an den Gestaden des immerblauen Golfs ist ein über und über grüner Garten Eden voll Wasserfälle und sanfter Hügel.

»Facilities« heißt das Zauberwort der Touristik-Manager, das dem Messebesucher in jedem der Tausenden von Prospekten entgegenschlägt. Facilities, das sind Annehmlichkeiten, Leichtigkeiten, Möglichkeiten. Und von Alaska bis in die Mongolei — alle bieten alles.

Man kann man in Dubai Eislaufen gehen, wenn man keinen Bock mehr auf Original-Beduinenlagerfeuer hat. Und zwei Mal die Kreditkarte gezückt — und schon bist du im Venedig Amerikas, in Fort Lauderdale. Dort geht's flott mit dem Wassertaxi zum Alligatorgucken. Und weiter zum Eingeborenenbesichtigen per Landrover in Zentralafrika. Danach vielleicht ein Abstecher zu den berühmten Domfestspielen in der guten Luft von Bad Gandersheim, wo auch immer das liegt. Wie schön, daß man dann abends überall bei Kerzenschein romantisch dinieren kann, bedient von strahlendem Personal, das weltweit dieselben Hoteluniformen trägt. Wie beruhigend, daß man nie schwitzt, nie müde wird, nie etwas schleppen muß, nie warten muß und überall glücklich in die wunderbaren Hilton-Sheraton-Marriot-etc.-Betten sinken kann...

Bloß ich hab' wieder Pech. Der Bus zum U-Bahnhof Kaiserdamm kommt nicht, die Füße sind bleischwer, das gastronomische Angebot besteht aus Currywürsten und Pommes und im Zug kommen wegen Herthaspiel acht gröhlende Leute auf den Quadratmeter. tom

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