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Die toleranten Bären in der U-Bahn

■ Weltstattberlin — Neue Bilder auf dem U-Bahnhof Alexanderplatz

Es war nicht leicht für die Arbeitsgruppe »Stadtbild« des ehemaligen DDR-Künstlerverbandes, ihre Ideen für die wechselnden Ausstellungen im U-Bahnhof am Alex gegen Mißtrauen und Zensorgebaren des Magistrats durchzubringen. Mancher Entwurf stand konträr zur gewünschten Polit-Agitation, daß den Herren Kommunalpolitikern die Toleranz abhanden kam. Besonders heikel wurde es 1989 mit dem Thema Nachdenken über Revolutionen. Gemeint war natürlich der Jahrestag der großen Französischen, aber einige Unverbesserliche nahmen sich des Stoffes so persönlich an, daß Stadtrat Hartenhauer sich gezwungen sah, die ganze Aktion zu verbieten. Dann kam die bekannte Kehre, auch »Wende« genannt, und alles wurde ganz anders. Der neue Oberbürgermeister von Berlin (Ost), der zufällig Hartenhauer hieß, hatte das Thema der Zeit auf Lager und ließ es flugs am Alex ausstellen. Die Organisationen müssen sich gefühlt haben wie Hans im Glück am Ende eines langen Weges.

Durch solche Begünstigung nicht entmutigt, wurde von den Störenfrieden um den Graphiker Wolf Leo das nächste Thema »Umwelt-Bilder/ Um-Weltbilder« in Angriff genommen und ohne Schwierigkeiten vom Berliner Magistrat finanziert. Dieser vergab dann auch noch vor seiner Auflösung im vorigen Jahr dank dem Engagement der Kulturrätin Irana Rusta die Aufträge für einen Wettbewerb zum hochaktuellen Thema Weltstattberlin. Mit dem gewählten Motto, das gegen einseitig deutsch- nationale Sicht polemisiert, sollte der Provinzhorizont dieser Hauptstadt überschritten werden. Darum wurden auch erstmals Künstler aus West- Berlin zur Teilnahme eingeladen, von denen sich 15 beteiligten. Schließlich haben dann 80 Maler und Graphiker 120 Arbeiten eingereicht, von denen im Dezember von einer — ebenfalls »gemischten« — Jury 32 ausgewählt wurden.

Daß damit eine einmalige Chance geschaffen wurde, sich öffentlich und massenwirksam zu einem der wichtigsten Probleme dieser Zeit zu äußern, hat alle Beteiligten beflügelt. Nur nicht Herrn Sticht in der Senats- Kulturverwaltung, dem mit der Abwicklung des Magistrats auch die Erblast der U-Bahn-Kunst auf den Schreibtisch gestürzt war. Selbst nachdem die Jury getagt hatte und die großformatigen Tafeln von den Künstlern auf dem Gelände des früheren Büros für architekturbezogene Kunst in Berlin-Buch fertiggestellt wurden, hielt der an seiner Meinung fest, daß Kunst nicht auf den U-Bahnhof gehöre. Die Mietforderungen der BVB/BVG gaben ihm das Argument »das Geld ist eben nicht da«. Aber die Werbeagentur der Verkehrsbetriebe erwies sich als kunstfreundlicher als Herr Sticht von der Kulturverwaltung: Sie verzichtete in diesem Fall ganz einfach auf ihre Ansprüche. Nach einem Gespräch der Wettbewerbs-Initiatoren mit dem neuen Kultursenator Ulrich Roloff- Momin ging dann alles ganz schnell.

Seit dem 1. März sind nun 32 Tafeln, die mehr oder weniger mit dem gestellten Thema zu tun haben, unterm Alex zu besichtigen. Am auffälligsten die Produkte der »PGH Glühende Zukunft«: Feuchtenberger, Fickelscherer und Wagenbreth lassen es sich auch hier nicht nehmen, toternste Themen mit Humor zu attackieren. Probleme wie Ausländerfeindlichkeit und Gewalt sind vielleicht am besten zu behandeln, wenn man sich nicht auf die Ebene der Humorlosigkeit ihrer Verursacher begibt. Andere Bilder umkreisen das »Statt«-Berlin poetisch oder zeichenhaft bis zur rätselhaften Spurensicherunng. Einige verweisen mit Textfragmenten darauf, wie traurig oder lächerlich eine Stadt sein kann, die sich als der Nabel der Welt empfindet.

Aber es sind auch Arbeiten darunter, bei denen der Bezug zum gestellten Thema selbst mit bestem Willen nicht herzustellen ist. Die erreichte Vielfalt ist wohltuend, und die Motive, die nicht sofort verständlich sind, können das Grübeln über den Sinn der Ausstellung nur befördern. Und trotzdem ist nicht einzusehen, daß Künstler einfach ein Stück ihrer gewohnten Produktion hernehmen und dafür im Wettbewerb honoriert werden. Bei den Tafeln von Muthesius und Engelmann, meinetwegen auch bei Kutzner mag es sich um beachtliche Malerei handeln. Aber darum gehören sie noch nicht in diese Ausstellung. Darüber soll es auch Unstimmigkeiten in der Jury gegeben haben, bei denen sich die in moderner Kunst weit erfahrener gebenden West-Kollegen leider durchgesetzt haben. Ganz nach den Regeln eines Spiels für Eingeweihte: Wer glaubt, den Kaiser nackt zu sehen, ist einfach doof! Bei den noch beachtlicheren Honoraren kann man sich auch ins Schlaraffenland versetzt fühlen, von dem es im Märchen heißt: »Und wer die größte Lüge macht, der hat allemal eine Krone dafür.« Die internen Reaktionen waren unterschiedlich: Jury-Mitglied Dörte Lammel, Chefin der Lichtenberger Galerie Sophienstraße 8, tröstete sich damit, daß es halt verschiedene Ansichten darüber gäbe, was gute Kunst sei. Und Ralf Bartholomäus von der Galerie Weißer Elefant versprach: »Nächstes Mal bin ich selbst als Künstler dabei. Vor meinem Klo lege ich Papier aus für die Spritzer, die beim Pissen danebenfallen. Das reiche ich dann ein, egal zu welchem Thema. Die West- Kollegen werden's schon mit der nötigen Einsicht auslegen.«

Davon war natürlich zur Eröffnung der Ausstellung am Freitag keine Rede. Schließlich waren erst einmal alle froh, daß man es doch noch geschafft hat, die Werbung von diesem Bahnhof fernzuhalten. Auch den Berlinern machte es sichtlich Vergnügen, einmal nicht von glücklich konsumierenden Wesen angegrinst zu werden, die alle von einem anderen Stern zu kommen scheinen. Roloff-Momin betonte auch in seiner Rede, daß ein so ungewöhnlicher Ort besonders geeignet sei zur Vermittlung künstlerischer Arbeit und würdigte das Thema als gelungenen Affront gegen die Gefahr der Nabelschau. Herr Kuno von der Vereinigten Verkehrs-Reklame sieht das nüchterner. Er empfindet die 130.000 Mark Mieteinnahmen, die nun der Kunst zum Opfer fallen, schon als schmerzlichen Verzicht. Wenn man sich aber überlegt, daß auf diesem Bahnhof noch nie Werbung gehangen hat und so von Verlusten keine Rede sein kann; wenn weiter auch im Senat die Absicht besteht, eine so unkonventionelle und hart erkämpfte Ausstellungsmöglichkeit zu erhalten, sollten alle Beteiligten darauf drängen, daß hier weiter aktuelle Themen behandelt werden und die Arbeiten auch den Vorzug vor der Werbung verdienen. Fritz Viereck

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