: „Arme Schweine...“
■ Ringer aus der Ex-DDR mußten während der Deutschen Meisterschaft im Matratzenlager schlafen
Lampertheim (taz) — „Ringen ist Umgehen mit Körper und Gefühl, den anderen nicht zu verletzen, Ringen ist Kopf und Bauch, die direkte Begegnung mit dem anderen, ohne Distanz...“
So überschreibt die Malerin Anette Leyh aus Darmstadt ihre „Ringerbilder“, die sie bei den ersten gesamtdeutschen Ringermeisterschaften im griechisch-römischen Stil in der Lappertheimer Altrheinhalle austellte. Doch die philosophischen Worte der Künstlerin gerieten für einen Teil der Ringer schlicht zum Hohn. Im Dunstkreis des Krisenreaktors Biblis hatten über 200 Mattenmänner gemeldet, darunter 84 aus den fünf neuen Ländern, herangekarrt am Freitag mittag, angekommen meist auf den letzten Drücker und nur kurze Zeit vor den ersten Wettkämpfen.
Ungleiche Reisebedingungen fanden ihre Fortsetzung in noch ungleicheren Lebensbedingungen während der drei Tage. Weil die Vereine in den FNL nur wenig Geld haben, wie der sportliche Leiter des brandenburgischen Landesverbandes, Klaus-Peter Kussow, beklagte, mußten die Ostathleten überwiegend schlechtere Unterkünfte als die Westringer in Kauf nehmen. Darüber hinaus war die Verpflegung beschissen — während die Westler in Gaststätten speisen konnten, mußte so mancher Ossi mit Semmel und Banane vorlieb nehmen. Wie die Ringer der BSG Chemie Pausa aus Sachsen, die in einer Lorscher Sammelunterkunft auf einem Dachboden schlafen mußten, 18 Mann in einem stickigen Raum ohne Betten, auf provisorisch hergerichteten Matratzenlagern, gewärmt nur von selbst mitgebrachten Schlafsäcken. Fünf Stunden Schlaf habe er gehabt, höchstens, klagte einer der Armen, von der Marternacht noch sichtbar gezeichnet. Und für die Reise in den Westen mußten die Pausaer auch noch 450 DM pro Mann berappen. Etwas besser erging es ihren Kollegen vom Wernigeröder SV Rot-Weiß, die sich selbst um ein Dach über dem Kopf bemüht hatten und eine noch annehmbare Pension erwischten. Andere traf es schlimmer, sie mußten in einem freistehenden Forsthaus im nebligen hessischen Ried die Nächte verbringen, Holz hacken und permanent die Scheite nachlegen, um nicht festzufrieren, weil der blanke Holzboden nur mit dünnen Matten bestückt war. Da hielt auch ein Schlafsack besserer Güte nicht allzu warm — dies für die empfindlichen Muskeln. Und überhaupt, so der Sportchef der Anhalter, hätten die meisten seiner Jungs zur Zeit andere Probleme als um Meisterehren zu ringen. Viele bangten um ihre Jobs, seien schon oder bald von Arbeitslosigkeit betroffen.
All diese widrigen Bedingungen trugen dazu bei, daß so mancher FNL-Ringer hinter den Erwartungen der lokalen Presse zurückblieb. Abgesehen von denen, die die Westvereine längst gelockt haben, mit saftigen Verträgen und mancherlei Versprechungen, wie Vizeweltmeister Janos Zamanduridis von der RWG Mömbris-Königshofen und Weltmeister Maik Bullmann (Frankfurt/Oder) vom AC Bavaria Goldbach. Sie hatten vor den sonntäglichen Endkämpfen ihre Favoritenrollen bestätigt. Der Brandenburger Olaf Kolschnitzke hingegen blieb am Samstag abend nur der Fight um Platz sieben.
Aber auch Westringer traf es hart. Der Bonn-Duisdorfer Terenziu Ruiu, eigentlich sportlich qualifiziert, vergaß seinen Landesverband zu melden. Disziplinarische Konsequenz: Nichtteilnahme an der Deutschen Meisterschaft als pädagogische Maßnahme mit Aussicht auf Rehabilitierung. Der Goldbacher Gerhard Himmel, Weltmeister von 1989, liebäugelt ob dieser Peinlichkeiten der Funktionärskaste derweil mit einem Studienaufenthalt in den USA und will, so dies gelingt, mit dem Ringen ganz aufhören. Querelen mit dem Verband gebe es keine, so Cheftrainer Ostermann. Allein der Glaube hieran fällt jedoch schwer.
„Ringen ist die Auseinandersetzung zwischen zwei Menschen ohne Sprache, ohne Lüge.“ Anette Leyh zum letzten. Günther Rohrbacher-List
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