piwik no script img

Die Gurke des Tages

■ Pal Csernai

Blau-weiße Hertha, du warst unser Sportverein. Unter den Flutlichtmasten deines Olympia- Stadions wurden mehr Fußballspiele geschmiert als Butterbrote in ganz Berlin. Deine hemdsärmligen Präsidenten wie Biermagnat Wolfgang „J. R.“ Holst machten Fans und Journalisten trunken vor Skandalen und weltstädtischen Intrigen. Hertha — schienbeinhart! Heute gleicht Berlins einst stolzes Flaggschiff eher der „Augsburger Puppenkiste“. Tierschützer haben irritiert festgestellt, daß sich selbst Vögel beim Überqueren der olympischen Arena auf den Rücken drehen, um dem blau-weißen Gekicke nicht unfreiwillig beiwohnen zu müssen.

Der Einzige, der so tut, als sei noch Wasser in der Spree, ist Hertha-Trainer Pal Csernai. Auch wenn jeder seiner Spieler inzwischen einzeln zum Mannschaftsbus geführt werden muß, weil alle mit Blindheit geschlagen sind — der Maestro magyaris schwebt in majestätischen Sphären. Journalisten sind ihm zuwider, Pressekonferenzen, die Konfrontation mit dem schreibenden dritten Stand, sind dem Sonnenkönig ein Greuel. Lieber hüllt sich Pal in edles Tuch, wenn seine Rasenkomiker mal wieder Chappi gespielt haben, und entzieht sich den begehrlichen Blicken der Wartenden. Aus den Lautsprechern des Olympia-Stadions lobhudelt es dazu leise „A whiter Shade of Pal“. Pressefritzen, verfügt derweil Csernais Hofnarr, pardon: Hertha-Manager Reinhard Roder, mögen sich zu persönlichen Audienzen in der Vereinsgeschäftsstelle einfinden. Möglichst zeitig, um die Augen an die Lichtgestalt des Göttlichen zu gewöhnen. Ohne Küssen der Ringe gibt es auch keine Freikarte, bäh! Aber Beeilung bitte, die Sänfte wartet, man gibt Training.

Und noch etwas wird sich unter der Ägide Pals I. ändern. Wie man hört, soll das Olympia-Stadion überdacht werden. Zwei Gründe gibt es hierfür. Einen übermenschlichen: Sonnenkönig Csernai möchte nicht von seinesgleichen geblendet werden. Und einen allzu profanen: Der Gesetzgeber verbietet nun mal Glückspiele unter freiem Himmel. Uwe Ebenöh

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen