Neue Probleme für Kuwaits Herrscherklan

Opposition und Widerstand werden ihre Ansprüche anmelden/ Oppositioneller angeschossen/ Jagd auf Kollaborateure/ Verfassung von 1962 reaktivieren/ Mehrheit der Bevölkerung ist vom politischen Leben ausgeschlossen  ■ Von Beate Seel

Berlin (taz) — Wenn die kuwaitische Herrscherfamilie der Al Sabahs in ihr befreites, aber völlig zerstörtes Land zurückkehrt, wird sie sich auch auf politischer Ebene mit völlig anderen Problemen konfrontiert sehen als in der Vergangenheit. Die Sabahs waren zwar im regionalen Vergleich die liberalsten Herrscher und duldeten eine relativ offene Presse. Dennoch etablierte die „legitime Regierung“ Kuwaits im Inneren ein repressives System und regierte das Land quasi als Familienbesitz. Nun meldet nicht nur die Opposition ihre Ansprüche an. Auch der Widerstand gegen die Besatzung im Lande selbst wird künftig stärker mitreden wollen. Und die Jagd der jungen Bewaffneten auf „Kollaborateure“ droht gleich eine ganze Bevölkerungsgruppe in Mißkredit zu bringen: die Palästinenser, die im mittleren Management, den Medien und dem Bildungswesen stark vertreten sind und eine wichtige Rolle für das Funktionieren des Staates spielen. Welche Gerichte letztendlich für die „Kollaborateure“ zuständig sein werden und ob es ordnungsgemäße Verfahren geben wird, ist zum jetzigen Zeitpunkt völlig unklar.

Einzelne Meldungen oder Bilder geben dabei Anlaß zur Besorgnis. So berichtete die britische Zeitung 'The Guardian‘, der kuwaitische Oppositionspolitiker Hamed Al Juwaan sei von zwei maskierten, unbekannten Tätern vor seinem Haus in Kuwait City angeschossen worden. Der angesehene Rechtsanwalt sei mit einer Untersuchung befaßt gewesen, ob die Herrscherfamilie in einen Skandal um illegale Börsengeschäfte verwickelt gewesen sei. In dem Arikel heißt es weiter, nach Berichten aus Kuwait operierten in der Hauptstadt bewaffnete Milizen verschiedener Gruppierungen. Fernsehbilder von jungen Bewaffneten, die Häuser und Autos durchsuchen und zum Teil auch den Verkehr kontrollieren, erinnern eher an Beiruter Willkür als an funktionierende staatliche Organe. Mehrere kuwaitische Politiker sahen sich bereits genötigt, die Palästinenser im Lande zu beruhigen. Nur wirkliche Kollaborateure hätten etwas zu befürchten.

Bemerkenswert ist auch der Appell der Exilregierung an ihre Landsleute im Ausland, mit der Rückkehr in die Heimat vorerst noch zu warten. Dabei spielen sicher auch die Zerstörungen im Lande eine Rolle. Wenn es aber gleichzeitig heißt, alle Pässe der Exilierten müßten zuvor mit Computerauszügen abgeglichen werden, dann kann dies im schlimmsten Falle auch bedeuten: Die Sabahs kehren zurück, die Opposition bleibt — zunächst? — draußen. Bereits Anfang 1990 hatte es in Kuwait City Demonstrationen für „Perestroika in Kuwait“ gegeben, und die Opposition im Exil hatte immer wieder eine Demokratisierung nach der Befreiung des Landes gefordert.

Letzte Woche hatte die Opposition die Verhängung des Ausnahmezustandes durch die Exilregierung kritisiert. Der Ausnahmezustand, so hieß es in der Exilopposition, solle nicht dazu verwandt werden, eine Demokratisierung zu vermeiden. Auf Besorgnis stießen auch einzelne Äußerungen aus den Reihen der Exilregierung, der Ausnahmezustand könne bis zu zwei Jahren andauern. Demgegenüber sagte Staatsminister Awadi auf einer Pressekonferenz am Samstag in Kuwait, sobald sich die Lage im Land normalisiert habe, werde es Wahlen nach den Bestimmungen der Verfassung von 1962 geben. Dies könne bereits in drei oder sechs Monaten der Fall sein.

Auf die Verfassung von 1962 beruft sich auch die Opposition. Darin ist festgehalten, daß Kuwait ein erbliches Emirat ist, der Emir den Regierungschef bestimmt und das Parlament bei Zustimmung eines Drittels der Abgeordneten auslösen kann. Nach Lesart der Opposition sind es jedoch nicht die Sabahs, sondern die auf vier Jahre gewählten Abgeordneten, die die Regierung und die Politik des Landes bestimmen. Das letzte kuwaitische Parlament, das wie seine Vorgänger eher die Funktion hatte, vorhandene Kritik zu kanalisieren und die Politik der Sabahs zu legitimieren, wurde im Jahre 1986 aufgelöst. Begründung: „Bedrohung der nationalen Einheit durch Gruppenbildung“. Die Abgeordneten waren zu aufmüpfig geworden. Damals hatte die Herrscherfamilie auch die Pressezensur verschärft.

Die letzten Wahlergebnisse verweisen auf ein anderes, strukturelles Problem der kuwaitischen Gesellschaft. Wahlberechtigt sind nämlich nur kuwaitische Männer über 21 Jahre, die lesen können. Und nicht nur das: Als Kuwaiter mit vollen Staatsbürgerrechten gelten nur diejenigen, die schon vor 1920 in Kuwait gelebt haben — ganze 6,8 Prozent der Bevölkerung. Dazu kommen die naturalisierten Kuwaiter (insgesamt 42 Prozent). Bei einer Bevölkerung von 1,6 Millionen konnten daher nur 75.000 Männer 1985 mitwählen.

Die letzte Volkszählung aus dem gleichen Jahr beziffert die Zahl der Kuwaiter auf 679.601, die der Nicht- Kuwaiter auf 1.015.527. Von den Ausländern stammen etwa 600.000 aus arabischen Staaten (die weitaus größte Gruppe sind die Palästinenser), Immigranten aus Asien, die die niedrigen Arbeiten verrichten, stellen mit 200.000 die zweitgrößte Gruppe. Damit ist die Mehrheit der Bevölkerung vom politischen Prozeß völlig ausgeschlossen und fühlt sich entsprechend diskriminiert: Jedwede politische Aktivität ist ihnen verboten.