Umimmatrikulation für Leipziger Journalisten

Staatsminister Meyers Pläne, das „Rote Kloster“ zu reformieren/ Selbstevaluierung aller Hochschullehrer beschlossen  ■ Von Vera Linß

Leipzig (taz) — „Vorschlag für die Regelung des laufenden Studiums: 1. bis 3. Studienjahr wird nicht fortgeführt — ,Umimmatrikulation‘, für das 4. Studienjahr — einjährige Studienverlängerung und für das 5. Studienjahr — Zusatzveranstaltungen. Dazu: Einrichtung eines Studienprogrammes Publizistik und Medienkunde.“ So schrieb es Staatsminister Meyer im Dezember an den Rektor der Universität Leipzig.

Doch nicht nur, daß er sich damit den Vorwurf der Unkenntnis einhandeln mußte (das Journalistenstudium hat nur vier Ausbildungsjahre), auch dürfte er kaum damit gerechnet haben, daß neben den Studenten sogar westdeutsche Stimmen gegen seinen „Vorschlag“ laut wurden. So wandten sich Professoren des Instituts für Journalistik in Dortmund mit einem Schreiben an Ministerpräsident Biedenkopf, in dem sie sich gegen die Schließung der Sektion aussprachen und ihr beachtliche Beiträge zur Journalismusforschung und praxisorientierten Lehre zugestanden. Für ein Bewertungsverfahren, so attestierten sie, seien Voraussetzungen gegeben. Auch der Vorsitzende der IG Medien, Erwin Ferlemann, votierte gegen das Ende der Sektion. Und so gelang es denn, die Verwirklichung von Meyers Vorhaben abzuwenden: Wenige Tage nach Bekanntwerden seiner Beschlüsse fuhren Studenten und Wissenschaftler der Sektion zusammen mit westdeutschen Kollegen zum Staatsminister nach Dresden und konnten die Fortsetzung der Journalistenausbildung in Leipzig erwirken.

Es soll also in Zukunft einen Hauptstudiengang in dieser Fachrichtung als Bestandteil eines Zweifachstudiums geben. Alle bereits immatrikulierten Studenten können ihr Studium beenden, so sie es wollen. Denn bis zur Einrichtung des Hauptstudienganges frühestens im nächsten Herbst gibt es übergangsweise ein Studienprogramm, das derzeit erarbeitet wird. Grundlage dafür sind bisherige Lehrinhalte der Sektion, sie sollen modifiziert und mit Neuem ergänzt werden. Die das machen, sind Studenten und vor allem ein Teil der Wissenschaftler, der auch schon früher hier gearbeitet hat und an der Sektion verblieben ist. Und da gibt es einige Probleme.

Schon einmal ist ein Studienprogramm — für das vergangene Wintersemester — eingestellt worden. „Da ist eine Menge Arbeit reingesteckt worden“, räsonniert Bernd Okun, Philosophieprofessor und seit dem vergangenen Jahr an der Sektion. „Mit dem Anfang der Lehre zeigte sich aber, daß es nicht wenig Lehrkräfte gab, die nicht imstande waren, dieses Programm auszufüllen.“ Die Folge war, daß die Studenten protestierten. Zur gleichen Zeit mußten sich die drei Leitungsmitglieder der Sektion der Abstimmung stellen, wobei zwei von ihnen durchfielen. Der Dozent für Journalismustheorie, Professor Poerschke, leitet seitdem die Arbeit. Unter seiner Führung wurde in dieser kritischen Situation ein Runder Tisch zwischen Lehrkörpern und Studenten einberufen. „Übrigens“, betont Bernd Okun, „der einzige Runde Tisch an irgendeiner Sektion in der Universität. Dort vermittelten die Studenten den Wissenschaftlern in sehr harscher Weise, daß sie sich woanders umsehen, wenn sie nicht Qualität bekomen.“ Daraufhin wurde beschlossen, die Selbstevaluierung aller Hochschullehrer durchzuführen. Dem Anfang, der hierbei gemacht wurde, setzt der Abwicklungsbeschluß dann schnell ein Ende. Die notwendige, fachliche Auseinandersetzung war damit auf der Strecke geblieben. Trotzdem muß, sollen weiter Journalisten in Leipzig ausgebildet werden, ein neues Studienprogramm entwickelt werden.

„Kommissarischer Leiter des Studienprogramms“ lautet der amtliche Titel von Hans Poerschke. Wie alle anderen befindet er sich auf der „Warteschleife“. 60 der einst 80 wissenschaftlichen Mitarbeiter sind noch an der Sektion geblieben. 45 von ihnen, so schätzt Poerschke heute, wollen sich der Begutachtung stellen und eine neue Struktur aufbauen. Vor Wochen noch sah er dies anders. Das Angebot der Mehrzahl seiner Hochschullehrer für die künftige Lehre und Forschung sei insgesamt so gering, erklärte Poerschke in einem Interview, daß von innen heraus kein tragfähiges Konzept zu erwarten sei. Nach erhitzter Debatte auf der letzten Wissenschaftlervollversammlung Anfang Februar, wo über weiteres inhaltliches Vorgehen beraten werden sollte, beshloß er denn auch seinen Rücktritt. Wissenschaftler hatten erklärt, daß sie sich auf die Überprüfung ihrer fachlichen Kompetenz und persönlichen Integrität durch eine Kommission nicht einlassen wollten, da sie dies als entwürdigend empfänden. Der Eindruck entstand jedoch, als wollten sie sich nur nicht sagen lassen, daß vorhandene Leistungen womöglich nicht ausreichten. Poerschke sah nun niemanden mehr, mit dem er den Kampf um den Ausbildungserhalt führen könnte. „Ich halte ihn für aussichtslos!“, sagte er. Hinzu kommt, daß keiner, der sich entschließt zu bleiben, weiß, ob er am Ende nicht doch entlassen wird.

Inzwischen hat Professor Poerschke seine Ansicht geändert und den Rücktritt zurückgenommen. „Es deutet sich an, daß sich doch Kräfte finden, die auch unter den gegenwärtigen Bedingungen weiter etwas wollen und vielleicht auch etwas können“, erklärte er seinen Schritt. Poerschke plant, Diskussionen über die konzeptionelle Gestaltung des zukünftigen Studienganges offensiv anzugehen. Eine Gründungskommission, der auch westdeutsche Wissenschaftler angehören sollen, wird in Kürze beginnen, Empfehlungen dazu zu erarbeiten.

Die Studienkommission arbeitet an der Fertigstellung des Studienprogrammes, das Anfang April beginnen wird. Westdeutsche Kollegen haben sich bereit erklärt, Kurse in Leizig abzuhalten. Das alles klingt nun wieder optimistisch, ob es Bestand haben wird, kann heute keiner endgültig sagen. „Als Probe auf neue Strukturen“ charakterisiert Professor Okun das neue Programm und hält es für konkurrenzfähig. „Die inhaltlichen Auseinandersetzungen müssen jetzt in den konkreten Lernprozessen weitergeführt werden!“ betont er.

Die Originarität der zukünftigen Leipziger Journalistenausbildung im Rahmen der gesamtdeutschen Wissenschaftslandschaft unterstreicht Professor Poerschke. Für ihn besteht sie in der Kombination von theoretischer und methodischer Ausbildung. Besonders den Bedingungen im Osten Deutschlands will man sich hierbei zuwenden. Ob die Wissenschaftler all dem gewachsen sein werden, wird sich in den nächsten Wochen zeigen.