: Stasi-Spitzel werden Rechtsanwälte
■ Rechtsanwaltskammer empört: Rund 50 Ostberliner Rechtsanwälte und Richter, die wahrscheinlich Mitarbeiter der Stasi waren, erhalten in Berlin eine Zulassung/ Einigungsvertrag hat dies so geregelt
Berlin. Mindestens 50 Ostberliner Rechtsanwälte und Richter, die im Verdacht der Stasi-Mitarbeit stehen oder durch Unrechtsprechung von sich reden gemacht haben, werden als Rechtsanwälte zugelassen. Darauf hat gestern die Rechtsanwaltskammer hingewiesen. Nach Angaben des Präsidenten Bernhard Dombeck hat sie Justizsenatorin Jutta Limbach (SPD) vergebens aufgefordert, die Zulassungen solange auszusetzen, bis weitere Ermittlungen angestellt worden sind. Dies sei von Limbach jedoch mit der Begründung abgelehnt worden, ihr seien durch den Einigungsvertrag die Hände gebunden. Im Einigungsvertrag sei festgelegt, daß alle Personen, die noch vom ehemaligen DDR-Justizministerium als Anwälte zugelassen worden seien, dies auch aufgrund eines weitgehenden Bestandschutzes bleiben müßten.
Die Namen der Problemkandidaten wollte der Kammer-Präsident gestern nicht nennen. Einer von ihnen ist jedoch schon lange bekannt: Rechtsanwalt Wolfgang Schnur, der selbst eingeräumt hatte, daß er für die Stasi tätig war. Schnur hat seine Zulassung nach Auskunft der Kammer jetzt bekommen. Er ist als Untermieter in einer Westberliner Kanzlei tätig.
Ursprünglich waren in Ost-Berlin nur 60 Rechtsanwälte zugelassen. Im Laufe des Jahres 1990 bekamen jedoch noch 735 weitere Personen im Eiltempo vom DDR-Justizministerium eine lokale Zulassung als Rechtsanwalt in Ost-Berlin. Einige der Juristen waren zuvor als Richter oder Staatsanwälte in der DDR-Justiz tätig und hatten wenig Chancen auf Übernahme. Andere sind Diplomjuristen ohne Berufserfahrung. Dombeck befürchtete bei vielen der neuen Kollegen »mangelnde Kompetenz«, weil sie im Recht der Bundesrepublik größtenteils nicht firm seien.
Die Rechtsanwaltskammer rechnet jetzt mit einer weiteren Flut von Anträgen auf Zulassung aus der ehemaligen DDR. Weil es sich hier jedoch um Personen handele, die ihre Erstzulassung erst nach dem 3. Oktober 1990 beantragt hätten, habe die Rechtsanwaltskammer das Recht, bei der Zulassung dieser Kandidaten mitzubestimmen. »Da, wo der Verdacht der Zusammenarbeit mit der Stasi besteht«, so Dombeck, »werden wir keine positive Stellungnahme abgeben, sondern die Senatsverwaltung für Justiz auffordern, neue Erkenntnisse zu sammeln.«
Ganz in Sicherheit wiegen können sich die bereits zugelassenen 795 ostdeutschen Rechtsanwälte dennoch nicht: Wenn sich bei Aktenprüfungen, die sie betreffen, noch herausstellt, daß sie eine strafbare Handlung im Sinne von Rechtsbeugung oder Freiheitsberaubung begangen haben, müßten sie als Angeklagte vor Gericht. Eine Verurteilung könnte den Entzug der Zulassung zur Folge haben. plu
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