Verbindliche Perspektive: Nichts!

■ 50 Prozent Arbeitslose im Osten?

8,5 Millionen Berufstätige hatte die DDR am Stichtag 30. September 1989, liest man im ersten und letzten Statistischen Taschenbuch der DDR, das noch im letzten Jahr erschien. Eine Massenarbeitslosigkeit von 50 Prozent im Sommer, also rund vier Millionen Menschen, gilt in den allermeisten Städten und Regionen der fünf neuen Länder inzwischen als verbindliche Perspektive.

Zuerst hatte vor zwei Wochen die Treuhand die 50-Prozent-Zahl bekanntgegeben, wenn auch „nur“ auf die von ihr verwalteten Betriebe mit insgesamt 3,6 Millionen Beschäftigten bezogen. Zuletzt hat sie der Schweriner Wirtschaftsminister Lehment als Gesamtquote für sein Bundesland angekündigt — in einigen Industriedörfern Mecklenburg- Vorpommerns ist sie schon jetzt deutlich überschritten.

In welchen sozialen Zustand damit eine Gemeinde gerät, traut sich derzeit in Bonn und bei den großen kommunalen Verbänden niemand zu prognostizieren. Die Situation ist einzigartig; sie ist auch nicht mit der Lage der City von Detroit oder einzelnen Stadtteilen in England zu vergleichen, weil in den neuen Ländern die Erfahrung, im Wirtschaftsleben schlichtweg überflüssig zu sein, für die Betroffenen völlig neu ist. Auch die Erfahrungen aus Ostfriesland, wo Mitte der Achtziger Jahre zuweilen ein Drittel der Bevölkerung arbeitslos war, helfen nicht weiter — Soziologen hatten damals flugs analysiert, daß dies wegen des hohen Anteils von Eigenheimbesitzern nicht zu tiefen sozialen Spannungen führt.

Vergleichsweise wenig Arbeitskräfte sind seit der Währungsunion in den Westen gegangen: Rund 200.000 Billig-ArbeiterInnen pendeln derzeit täglich, 110.000 sind im zweiten Halbjahr 90 ganz in die Alt- BRD gezogen — allerdings mit stark abfallender Tendenz: Auf eine Kleine Anfrage der Grünen teilte die Bundesregierung mit, daß es im Juli noch 25.000 Menschen waren; im Dezember ist die Zahl derjenigen, die die Hoffnung noch nicht ganz aufgegeben haben, auf nur noch 7.700 gesunken. diba