Beispiel Eisenach: Elite am Ende

■ Von 7.000 früheren Vorzeige-Arbeitern bei Wartburg hat Opel nur 200 übernommen

Die Automobilwerke Eisenach (AWE) haben in den harten Zeiten des realen Sozialismus das unverwüstliche Flagschiff des DDR-Fahrzeugbaus produziert: Rund 7.000 Werktätige schraubten und schweißten in ihren Werkhallen aus den frühen 20er Jahren den Wartburg zusammen. In der Gunst der geduldigen Käufer, die oft jahrelang auf ihren hartgefederten Liebling warten mußten, rangierte er immer vor dem mickrigen Konkurrenten Trabant. Die „Wartburger“ gehörten zur Elite der Arbeiterklasse im Lande der Ulbrichts und Honeckers, und das Auto mit der an den legendären Borgward erinnernden Karosserie zählte zu den Ostblock-Exportschlagern des Regimes. Doch aus dem Exportschlager ist seit der Vereinigung ein Ladenhüter geworden. Die Elite sitzt auf der Straße.

Der Osteuropahandel der neuen Bundesländer ist zusammengebrochen, und im Westen wie im Osten der geeinten Republik will niemand mehr einen Wartburg. Seit Monaten wird bei AWE kurzgearbeitet. Und das heißt im Klartext: Rund 6.500 Werktätige aus Eisenach und Umgebung erscheinen zwar „auf Maloche“, drehen dann dort aber stundenlang Däumchen vor einem zum Teil immerhin modernen Maschinenpark. Die riesigen Pressen für die Karosserieteile des Wartburg etwa wurden erst in den späten 80er Jahren von dem VEB-Maschinenfabrik Gotha geliefert. Im Januar dieses Jahres hat die Treuhand, die den ehemaligen Volkseigenen Betrieb nun verwaltet, den Automobilwerkern in Kurzarbeit kurzerhand den endgültigen Entlassungstermin mitgeteilt. Am 31. März werde die Produktion des Wartburg endgültig eingestellt und die Belegschaft zum Stempeln „freigesetzt“. Zur Arbeiterelite im neuen Bundesland Thüringen gehören in den neuen Zeiten dann nur noch die knapp 200 „Wartburger“, die von der Adam Opel AG in Rüsselsheim zur Verwendung im Opel- Montagewerk in Eisenach umgeschult worden waren. Die im schicken grau-weißen Overall steckenden Mitarbeiter der neuen Firma Opel/ AWE dürfen in einer neuen Produktionshalle den Mittelklassewagen Vectra zusammenbasteln — und alle Teile für den Vectra kommen mit der Bahn aus dem hessischen Rüsselsheim!

Nach der Entscheidung der Treuhand für die Schließung der AWE- Eisenach war die Verbitterung groß: Tausende von Automobilwerkern blockierten die Autobahn, und auch durch Eisenach demonstrierten tagelang Metaller und legten den Verkehr lahm. Auf Intervention der thüringischen Landesregierung rang sich die Treuhand dann dazu durch, den Crash-Termin für die AWE-Eisenach in den Sommer zu verschieben — noch drei Monate Gnadenfrist für 6.500 AWE-Werktätige und 35.000 in den Zulieferbetrieben.

Platt gewalzt habe die Treuhand damit die gesamte Industrieregion um Eisenach, meinten danach die Sozialdemokraten im Landtag in Erfurt. Daran ändere auch das von der Treuhandanstalt angekündigte „Qualifizierungs- und Umschulungsprogramm“ für zunächst 2.000 Arbeitnehmer nichts mehr, denn die angekündigten neuen Industrieansiedelungen würden sich frühestens Ende 1992 auf den Arbeitsmarkt auswirken. Das gilt insbesondere für das Opel-Produktionswerk Eisenach, für das Opel-Vorstandsboss Houghs Ende Januar — zusammen mit Bundeskanzler Kohl und dem türingischen Ministerpräsidenten Duchac (CDU) — den Grundstein gelegt hatte. Nicht nur die Sozialdemokraten befürchten, daß bis dahin vor allem die jungen Facharbeiter aus der Region in den Westen abgewandert sein werden: „Und die fehlen uns dann, wenn sie hier für den Produktionsaufbau gebraucht werden.“ Rund 300.000 Thüringer, so rechneten die Grünen dem Ministerpräsidenten im Landtag vor, seien seit der Vereinigung aus dem neuen Bundesland Thüringen als „Arbeitsemigranten“ in die Westländer übergesiedelt — nicht gerechnet die Heere der Pendler, die stundenlange Bus- oder Bahnfahrten in Kauf nehmen, um in Hessen oder in Bayern arbeiten zu können. Thüringen, so die Befürchtung etwa der IG-Metall, werde so zum Armenhaus der Nation.

Die Landesregierung, die keinen direkten Einfluß auf die Politik der Treuhand hat, steht der „katastrophalen Entwicklung“ (SPD) hilflos gegenüber. Bis auf Appelle an das Durchhaltevermögen der „lieben Thüringer“, so Ministerpräsident Duchac, kam aus Erfurt keine Hilfestellung für die gebeutelten Regionen des Landes. Mehr als 50.000 von der Entlassung bedrohte Menschen demonstrierten deshalb in der vergangenen Woche vor dem Landtag gegen die Untätigkeit der Regierung Duchac und für den Erhalt ihrer Arbeitsplätze. Es gärt in Thüringen. Klaus-Peter Klingelschmitt