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Drogentherapie ohne Aufsicht: Raubüberfall

■ Loxstedt: Patienten klauten die Kasse der Therapieeinrichtung / Alle MitarbeiterInnen waren abwesend

Als sich Wolfgang G. und Ray H. am 13. November 1989 an ihrem selbstgebrauten Schnaps berauschten und danach die Kasse des therapeutischen Bauernhofes Loxstedt-Düring klauten, waren keine MitarbeiterInnen der Drogentherapie-Einrichtung anwesend. Die Therapeuten hatten den Bauernhof nämlich um 18 Uhr verlassen und die Nachtschicht war nicht besetzt. Völlig unbehelligt konnten die Drogenabhängigen ihre Mitpatienten fesseln, 1.800 Mark aus der Kasse entwenden und damit nach Bremen fahren. Auf ihrer Suche nach einem Schuß Heroin brachen die beiden in Bremen noch eine Wohnung auf. Seit gestern stehen Wolfgang G. und Ray H. vor der großen Strafkammer des Bremer Landgerichts unter der Anklage des schweren Raubs, Diebstahls und der schweren Körperverletzung.

Erst ein halbes Jahr vor dem Vorfall vom November 1989 war der therapeutische Bauernhof des Vereins „Bremer Hilfe zur Selbsthilfe“ in Loxstedt südlich von Bremerhaven eröffnet worden. Die Einrichtung war noch im Aufbau. Während dort heute 15 ehemalige Drogenabhängige leben und arbeiten, waren es damals nur zehn. Mitarbeiterin Sabine Frieden-Paland: „Normalerweise war damals immer eine Person als Nachtschicht anwesend. Am 13. November konnte die Nachtschicht wegen Krankheit aber nicht besetzt werden.“ Ein ähnlicher Vorfall habe sich seitdem auf dem Bauernhof nicht mehr ereignet, so Frieden-Paland.

Die beiden Angeklagten haben ein langes Strafregister aufzuweisen. Ray H. ist seit 1970 drogenabhängig und hat etwa 12 Jahre im Gefängnis verbracht. Am 13. November 1989 begannen die Angeklagten zwischen 20 und 21 Uhr etwa zehn Liter Schnaps zu trinken, den sie ein paar Tage vorher selbst angesetzt hatten. Angetrunken fuhren sie nachts mit Fahrrädern in den Ort, um Nachschub zu holen, fanden aber keine offene Kneipe mehr. Nach Aussage von Wolfgang G. hatten sich schon einige Tage vorher andere PatientInnen der Drogentherapie-Einrichtung auf ihren Zimmern betrunken, ohne daß die MitarbeiterInnen angemessen darauf reagiert hätten. Diplom- Pädagogin Frieden-Paland räumte während der Verhandlung ein, daß die MitarbeiterInnen während der Aufbauphase des Projektes „noch keine eingespielte Mannschaft“ gewesen seien.

In der Verhandlung vor dem Landgericht kam auch zur Sprache, daß den MitarbeiterInnen Spannungen zwischen den PatientInnen bekannt waren. Die übrigen PatientInnen hätten Wolfgang G. und Ray H. mit Mißtrauen betrachtet.

Aus dem Dorf zurück, bewaffneten sich die Angeklagten mit einem Beil und einem Messer, bedrohten die anderen PatientInnen und fesselten sie. Uwe B., einen von ihnen, zwangen sie, die Schlüssel zu dem Stahlschrank herauszugeben, in dem 1.600 Mark der Einrichtung lagen. Uwe B. wurde von den MitarbeiterInnen als Vertrauensperson betrachtet und verwaltete deshalb von Zeit zu Zeit die Büroschlüssel. Mit einem Taxi fuhren Wolfgang G. und Ray H. zunächst nach Bremerhaven, später dann per Zug nach Bremen, wo sie in einer Kneipe weitertranken.

Die Suche der beiden nach Heroin verlief zunächst erfolglos. Zusammen mit einem Kontaktmann brachen sie die Wohnung eines vermeintlichen Dealers auf, wo es mit einem zufällig hinzugekommenen Bekannten des Wohnungsbesitzers jedoch zu einer Schlägerei kam, bei der der Bekannte mit Messerstichen verletzt wurde.

Danach fuhren die Angeklagten ins Steintor weiter, besorgten sich schließlich das Heroin und wurden später von der Polizei aufgegriffen. och

Die Plädoyers und die Urteilsverkündung finden heute in Zimmer 231 des Landgerichts statt.

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