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Das Stillhalte-Bonbon

■ Zum Briefmarken-Geschenk des Postministers für die Ostler/ Die anderen Minister sollten nachziehen QUERSPALTE

Die Bonner West-Onkels sorgen doch immer für eine nette Geste. Jetzt, wo sich jeder Ostler langsam daran gewöhnt, daß die Zeit der kleinen Extras vorbei ist und alles hart erarbeitet werden muß, kommen sie mit dieser Überraschung. Ein Briefmarkengeschenk im Wert von zehn Mark für jeden. Welche Großzügigkeit. Dagegen fällt doch die lächerliche Gebührenerhöhung ums Doppelte für Briefe und Postkarten kaum ins Gewicht. Schließlich wird doch »abgefedert« und »sozialverträglich gestaltet«. Oder mit einem Zehn-Mark-Stillhalte-Bonbon vertröstet. Die Neubundesbürger sollen wissen, daß man im fernen Bonn an sie denkt. Wie in einer richtig guten Familie. Da steckt man den Kindern auch eine Kleinigkeit zu, wenn man von ihnen nicht genervt werden will. Und die Bonner gesamtdeutschen Familienpappis kennen ihre Verantwortung, können aber gerade jetzt die Schreiereien ihrer neuen Zöglinge nicht gebrauchen. Macht sich doch ohnehin im Westen die Meinung breit, die Brüder und Schwestern aus den fünf neuen Ländern würden viel zu viel jammern, statt richtig anzupacken.

Die Methode, wissen sie in Bonn, wird weiterhin funktionieren. Denn: Wenn man den Ostlern schon mit Bananen das Maul stopfen konnte, warum jetzt nicht auch mit Briefmarken? Das macht sogar einen Sinn. Während sie von den Bananen nur Verstopfungen bekamen, können die Ostler die Briefmarken jetzt wenigstens für die nächsten zehn Bewerbungsschreiben verwenden.

Postminister Schwarz-Schilling sollte man zu seinem Initiativgeist gratulieren. Wenn sich ihm jetzt in einer Zeit, wo wirklich große Taten gefragt sind, seine Kollegen anschließen würden, dürfte mit den Ostlern eigentlich nichts mehr schief gehen. Bei Mieterhöhungen eine Monatsmiete umsonst, bei Fahrpreiserhöhungen eine Umweltkarte gratis, bei Strompreiserhöhungen eine Quartalsrechnung auf Kosten des Hauses und so weiter. Mit einem Schlachtruf aus der Ex-DDR-Jugendsportbewegung möchte man den noch zögernden Bonner Helfern zurufen: Macht's mit, macht's nach, macht's besser! Anja Baum

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