Wohnungsunternehmen vor der Pleite

■ In Ost-Berlin und Brandenburg können bald Heizung, Müllabfuhr und Strom nicht mehr bezahlt werden/ Unternehmen: Bald kein Lohn mehr

Berlin. »Diepchen, komm raus!« brüllt die aufgebrachte Menge. Zehntausende von Ostberliner MieterInnen drängeln sich vor dem Rathaus Schöneberg. Schon vor Wochen wurde ihnen die Heizung abgestellt, nur noch kaltes Wasser kommt aus der Leitung und demnächst gar keins mehr. Müll türmt sich in den Höfen, Strom und Gas gibt es nur noch stundenweise. Zwischen die empörten MieterInnen haben sich streikende Angestellte der Ostberliner Wohnungsunternehmen — ehemals KWV — gemischt. Ihr Lohn wird nicht mehr gezahlt, denn die Unternehmen sind pleite.

Solche Szenarien befürchtet der Verband der Berlin-Brandenburgischen Wohnungsunternehmen für die kommenden Monate. »Wir sind finanziell am Ende«, erklärte Verbandsvorstandsmitglied Ludwig Burkart gestern. Bei jeder der elf städtischen Gesellschaften türmen sich Rechnungen in Millionenhöhe, Kohlenhändler liefern nur noch gegen sofortige Barzahlung und Mitarbeiter wurden bereits auf Kurzarbeit gesetzt. Der Grund: Die Bewirtschaftung der Häuser kostet bis zum fünffachen von dem, was die Miete einbringt. Diese Differenz summiert sich allein für Ost-Berlin auf über eine Milliarde Mark im Jahr, im Monat März werden 240 Millionen gebraucht. Der Senat bezahlt den städtischen Gesellschaften Ost-Berlins nur einen Teil der Differenz. Jetzt wurden »alle Reserven verfrühstückt«, so Burkart, den Wohnungsbaugesellschaften droht die Pleite. Betroffen davon sind in Berlin und Brandenburg 1,3 Millionen Wohnungen. Die kommunalen Wohnungsunternehmen Brandenburgs sind noch schlimmer dran, denn das Land Brandenburg bezahlt überhaupt nichts. In einzelnen Städten wurden die Heizungen auf zehn Grad hinuntergefahren. Trotz dieser Misere hätten die Ministerpräsidenten der Ostländer bei letzten Treffen mit dem Bundeskanzler nicht einmal versucht, durchzusetzen, daß der Bund diese Kosten übernimmt, kritisierte Burkart.

Für den Fall, daß der Senat seine Zahlungen an die Ostberliner Gesellschaften nicht aufstockt, kursiert bei den Gesellschaften ein — hausinternes — »Handlungsszenario Bewirtschaftungsdefizite«, das der taz vorliegt. So plant man, Kurzarbeit einzuführen, die Mieten auf freiwilliger Basis zu erhöhen — notfalls ohne gesetzliche Grundlage —, die Rechnungen für Müllabfuhr und Kohle unbezahlt an den Senat weiterzureichen, oder den Bezirksämtern die Belegungsrechte zu kündigen. Aber auch Protestversammlungen von Mietern und Beschäftigten oder gar ein Sit-in beim Regierenden Bürgermeister hält der Verband für möglich.

Die SPD-Fraktion hat sich hinter die Forderungen des Verbandes gestellt. Eine »mutwillig herbeigeführte Zahlungsunfähigkeit« bei den Wohnungsunternehmen solle dazu benutzt werden, große Bestände zu privatisieren, hieß es. Auch Bausenator Nagel äußerte Verständnis für die Gesellschaften. Aber: »Wir zahlen denen soviel, wie wir können, mehr haben wir nicht«, sagte dessen Sprecher Schlichting. Eva Schweitzer