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Widersprüchlich-betr.: "Snouseln im Bällchenbad", taz vom 27.2.91

Betr.: „Snouseln im Bällchenbad“, taz vom 27.2.1991

Einen so widersprüchlichen Artikel wie den von Annette Goebel über das Snouseln habe ich schon lange nicht mehr gelesen. Welche Vorstellungen dieser Artikel von geistig behinderten Menschen herstellt, ist geradezu grotesk. Hier wird wieder einmal die völlige Andersartigkeit sinnlicher Erfahrung geistig Behinderter postuliert, ohne daß dies wissenschaftlich wirklich haltbar wäre. Diese Stigmatisierung bietet jedoch dann die Basis zur Segregation Geistigbehinderter aus dem normalen Leben, in das sie ja angeblich nicht eingegliedert werden sollen im Gegensatz zu den Neurotikern und Psychotikern. Hier stellt sich die Frage, ob die Erkenntnisse in die soziale Bedingtheit von Behinderung zugunsten eines irrationalen „Schonraums“ beiseite geschoben werden sollen, in dem sich gesellschaftliche Konflikte angeblich privatistisch bereinigen lassen. Nicht die isolierenden Bedingungen in unseren psychiatrischen Krankenhäusern werden in dem Artikel in Frage gestellt, sondern es geht lediglich darum, wie sich eine vorher wohldefinierte und stigmatisierte Gruppe von Menschen besser an die herrschenden Zustände anpassen läßt.

Wer die Sozialität und die Unverletzbarkeit der Persönlichkeit aller Menschen wirklich ernst nimmt, sollte sich gegen solche Irrationalitäten mit allen Mitteln wehren. Es kann nicht angehen, daß Behindertenpäda

gogik und Therapie die gesellschaftliche Konsumhaltung und das Herabsinken von Glückserlebnissen auf das bloße Erleben von Lust lediglich unkritisch reproduziert.

In diesem Zusammenhang würde ich mir auch von der taz genauere Recherchen und ein kritisches Hinterfragen dieser „Therapie“ wünschen, nicht zuletzt im Sinne der betroffenen Menschen. Jedenfalls besteht sonst die Gefahr, daß dieser Schonraum zum Instrument der Aussonderung und Auslöschung von menschlichem Leben wird. Peter Singers Ethik läßt grüßen. Thomas Stock, Offenbach

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