Heftige Debatte bei 2 plus 4

Einzelheiten des Truppenabzugsabkommens noch nicht geklärt — Ratifizierung verschoben/ Proteste der Militärs wurden übergangen/ Außenministerium sei schuld an schlampigem Vertragswerk  ■ Aus Moskau Klaus-H. Donath

Schon die Umstände, die die Ratifizierung des Zwei-plus-Vier-Vertrages im Obersten Sowjet der UdSSR begleiteten, ließen erahnen, wie heftig dieses Vertragswerk unter den Volksvertretern umkämpft gewesen sein mußte. Bevor die Deputierten in die Ratifizierungsdebatte einstiegen, hatten ausnahmslos alle Journalisten den Sitzungssaal zu verlassen.

Außenminister Alexander Bessmertnych machte nach der Debatte auch kein Hehl aus der Kontroverse. Er würdigte den Kontrakt als „einen der wichtigsten Verträge der Nachkriegszeit“, die diese nun zu einem Ende bringe, setzte jedoch gleich hinzu: „Die Diskussionen waren außerordentlich intensiv aber jeder, Befürworter wie Gegner, ließ sich dabei von der echten Sorge um die sowjetische Sicherheit leiten.“

Öffentlich war seit der Aushandlung des Vertrages im vergangenen September keine Kritik an dessen Substanz geübt worden. Allerdings sickerte durch, daß die Vereinbarungen in der außenpolitischen Kommission des sowjetischen Obersten Sowjets von Anbeginn auf harte Gegenwehr stießen. Erst ein Machtwort Gorbatschows habe dem ein Ende gesetzt.

Außer dem Zwei-plus-vier-Vertrag segnete der Oberste Sowjet zwei weitere Vereinbarungen über gutnachbarschaftliche Beziehungen und technisch-wissenschaftliche Zusammenarbeit ab. Zwei weitere Abkommen über den Abzug der sowjetischen Truppen aus Deutschland wurden nochmals zur Überarbeitung in die Ausschüsse verwiesen. Mit welchen Punkten die sowjetische Seite besonders unzufrieden sei, ließ sich den offiziellen Äußerungen nicht entnehmen.

Das hatte dafür am Wochenende die konservative Zeitung 'Sowjetskaja Rossija‘ in einem Interview mit dem Deputierten Nikolaj Petruschenko vorweggenommen. Oberst Petruschenko gehört zu den Führungsfiguren der konservativen „Sojus“-Fraktion im Obersten Sowjet. Er empfahl den Abgeordneten, die Verträge nicht zu ratifizieren.

Es sei schließlich keine Tragödie, wenn man jetzt eingestünde, bei den Verhandlungen einen Fehler gemacht zu haben. Schwerwiegender sei es, sie nicht zu korrigieren. „Wir alle müssen besorgt sein, daß im Zentrum Europas ein großer, wirtschaftlich mächtiger Staat wiedergeboren wurde, von dem für viele Menschen in der Vergangenheit eine Menge Übel ausgegangen ist.“

Petruschenko, der als Vierzigjähriger nicht zu den Veteranen des Weltkrieges gehört, warnte in alter Manier vor den rechtsextremistischen Tendenzen, die in der BRD wieder aus dem Boden kriechen könnten.

„Wer hilft hier wem, sie uns oder wir ihnen?“ meinte Petruschenko zu den finanziellen Leistungen aus Deutschland. Die deutsche Seite, die mit 15 Milliarden Mark davongekommen sei, mache gegenüber der Sowjetunion einen 90fachen Profit durch die Wiederherstellung der staatlichen Souveränität. Humanitäre Hilfe? „Was sind schon dreißig tausend Tonnen Lebensmittel? ... Im Vergleich mit unseren phantastisch großzügigen Geschenken sind die aus Deutschland faktisch nichts ...“ Die sowjetischen Massenmedien hätten die ganze deutsche Frage manipuliert und seien „dahingeflossen“ aus Dankbarkeit für die „Großzügigkeit und die Humanität“. Schuld an allem trage das Außenministerium, das nur von „allgemein-menschlichen Werten“ und dem „neuen Denken“ gesprochen hätte.

Das Truppenabzugsabkommen bis 1994 hält Petruschenko für nicht durchführbar. In seiner Zeitrechnung müßten dafür mindestens 10 wenn nicht 19 Jahre veranschlagt werden. Richtig wäre es gewesen, wenn die sowjetische Seite, die Probleme, die für sie daraus zu Hause resultieren, erst in Angriff genommen hätte.

Die Richtigkeit seiner Position unterstreicht der Oberst durch ein Schreiben, das 60 Wissenschaftler und Politiker aus Deutschland an ihn geschickt hätten. Auch sie seien der Auffassung, daß die UdSSR keine angemessenen Gegenleistungen erhalten hätte. Zu den Unterzeichnern gehört der ehemalige DDR-Ministerpräsident Hans Modrow.