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Kurzgeschlossene Verantwortung

■ Der Bedeutungswandel eines Wortes bei seinem militärischen Einsatz/ Gibt es eine besondere Verantwortung jenseits der kriegerischen Option?

Ein Gespenst geht um in Deutschland: das Wort von der Verantwortung. Von der gewachsenen außenpolitischen Verantwortung des vereinigten Deutschlands ist die Rede. Um keinen richtigen Verdacht aufkommen zu lassen, wird mitunter präzisiert: friedenspolitische Verantwortung. Wo doch jeder weiß, daß es um Krieg geht, um den Einsatz deutscher Soldaten out of area. Natürlich im Rahmen einer friedenspolitischen Mission. Wir leben ja schließlich nicht mehr im 19. Jahrhundert, wo Europa im Namen der Zivilisation Kriege führte, um fremde Länder zu erobern. Längst sind ja aus Kriegsministerien Verteidigungsministerien geworden. Und aus künftigen militärischen Interventionen wird prophylaktisch schon jetzt ein friedenspolitisches Engagement.

Wenn die Euphemismen überhandnehmen, ist allemal Vorsicht angesagt.

Daß im übrigen gerade in denjenigen Ländern Europas, in denen die militärische Zurückhaltung Deutschlands in der Golfkrise in jüngster Zeit am stärksten kritisiert wurde, noch vor einem Jahr Politiker und Publizisten die Gefahr eines vereinigten Großdeutschlands beschworen oder gar das Gespenst eines Viertes Reiches an die Wand malten, ist nicht nur bittere Ironie der Geschichte. Es zeugt auch davon, wie schnell sich im ideologische Diskurs die Parameter verschieben, wenn es die politischen Interessen erfordern.

Nun hat ein vereinigtes Deutschland ohne Zweifel eine größere außenpolitische Verantwortung als etwa ein Fürstentum Liechtenstein. Verantwortung für die Stabilität einer Region, von deren Erdöl unser Wohlstand weitgehend abhängt, Verantwortung für das Existenzrecht Israels, Verantwortung für die Einhaltung der Menschenrechte, kurzum Verantwortung für den Frieden. Aber als wäre nichts geschehen, als wäre nicht gerade ein Krieg zu Ende gegangen, dessen Tote noch nicht einmal gezählt sind und dessen ökologische Folgen uns noch Jahre beschäftigen werden, wird bereits wieder davon ausgegangen, daß der Frieden wesentlich militärisch gesichert werden muß.

Gewiß wurde auf dem Pariser KSZE-Gipfel im letzten Jahr das Ende des Kalten Krieges besiegelt und Deutschland in die Souveränität entlassen. Doch heißt das, daß es sich nun — wie der CDU-Generalsekretär fordert — in seiner Sicherheitspolitik nicht mehr von anderen europäischen Nationen unterscheiden darf oder daß es gar zu einer „Großschweiz“ verkommen muß, wie Frankreichs Industrieminister Fauroux jüngst befürchtete? Darf denn mit dem Ende des Kalten Krieges auch Auschwitz endlich vergessen werden? Auch der Nationalsozialismus und der deutsche Militarismus, der diesem bei der Unterwerfung Europas zu Diensten gestanden hat? Nein, mit dem Ende des Kalten Krieges ist nicht das Ende der Geschichte eingetreten. Die post-histoire gibt es nicht.

Es ist erst wenige Monate her, daß deutsche Politiker in Israel — mea culpa, mea culpa, mea maxima culpa — von Verantwortung in ganz anderem Sinne gesprochen haben. Sie entschuldigten sich dafür, daß deutsche Chemiekonzerne zu verantworten haben, daß Juden sich erneut vor deutschem Gas fürchten mußten. Und dem Schuldbekenntnis folgte in der Regel der Verweis auf die besondere deutsche Verantwortung gegenüber Israel auf dem Fuß.

Weshalb aber sollte diese besondere deutsche Verantwortung, die sich offenbar nur durch die besondere deutsche Geschichte erklären läßt, nicht besondere deutsche Wege zulassen? „Warum nicht die Beschränkung unserer Rolle in der Welt vernünftig begründen“, fragte sogar der Chefredakteur der 'Zeit‘ noch vor einem Monat. Das schließt ja wirkliches friedenspolitisches Engagement nicht aus. 17 Milliarden Mark hat Deutschland zur Kriegsfinanzierung beigesteuert. Wie viele Milliarden wird es für die Flüchtlinge dieses Krieges, für seine überlebenden Opfer, für die Beseitigung der Kriegsschäden, für die Bekämpung der Ökokatastrophe aufbringen? Wir müssen zumindest den Mut aufbringen, die „neue außenpolitische Verantwortung Deutschlands“ jenseits militärischer Optionen zu denken. Thomas Schmid

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