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Sechs Spielplätze gesperrt

■ Dioxin und Schwermetalle in der Sandkiste / Alarmierende Werte

Auf allen vieren buddeln und muddeln, Sandkuchen essen, Sandförmchen an Ort und Stelle auslecken — das Spielplatz-Vergnügen bremischer Kleinkinder stellt sich als höchst gesundheitsgefährdend heraus. Denn diverse Sandkuchen sind seit Jahrzehnten mit Dioxin, Arsen, Cadmium und anderen Schwermetallen angemischt: 1.100 Spielplätze gibt es in der Stadt, davon sind 216 städtisch-verwaltet. Von diesen 216 hat die Umweltsenatorin einen kleinen Ausschnitt von 45 auf Schwermetalle untersuchen lassen. In einem noch kleineren Teil von zehn wurde zusätzlich im Sand nach Dioxin gefahndet. Ergebnis: Von den 45 untersuchten Spielplätzen mußten sechs „vorsorglich geschlossen“ werden. Allein auf dreien dieser sechs waren im Sand erhöhte Dioxinwerte gemessen worden.

Giftigster Spitzenreiter ist der Spielplatz „Auf dem Beginenlande“ in Kattenturm (vgl. taz vom 28.2.). Der Richtwert des Bundesgesundheitsamtes für Dioxin ist um das 100fache überschritten. Aus diesem Grund soll dieser — inzwischen geschlossene — Spielplatz in den nächsten Tagen zusätzlich mit einer Folie abgedeckt werden.

Die Umweltbehörde läßt den alarmierenden Dioxin-Wert derzeit noch einmal überprüfen. Umweltsenatorin Eva-Maria Lemke- Schulte gestern: „Der Meßwert kann sich durchaus auch bestätigen.“

Über die Gründe der Dioxin- Vergiftung im Sand „Auf dem Beginenlande“ sei die Behörde, so der Referent Pösel, „zunächst völlig im dunkeln getappt“. Als Ursachen eingekreist habe man zwei Möglichkeiten. Erstens kämen unbekannte Altablagerungen in Betracht wie zum Beispiel alte Schlacken oder Flugaschen aus Müllverbrennungsanlagen der ersten Generation. Zweitens könne der Hausbrand in der Focke-Wulf-Siedlung verantwortlich sein, hier werde außer Kohle auch Plastik und lackiertes Holz verbrannt.

Adolf Pösel: „Man kommt eigentlich nur weiter, indem man Zeitzeugen fragt.“ Das Gelände „Auf dem Beginenlande“ sei nach dem Krieg von spielenden Kindern in Besitz genommen worden und erst nachträglich zum „öffentlichen“ Spielplatz erklärt worden, so daß es wenig Aufzeichnungen über die Baumaterialien gebe.

Die drei Senatorinnen Lemke- Schulte, Uhl und Rüdiger, zuständig für Umwelt, Soziales und Gesundheit, haben mit zuständigen ReferentInnen eine „Senats- Arbeitsgruppe 'Kontaminierte Kinderspielplätze'“ eingerichtet. In welchem Umfang die Messungen fortgeführt werden, blieb gestern unklar.

Die Umweltsenatorin plädierte dafür, 25 bis 30 weitere Spielplätze gezielt auf Schwermetalle zu untersuchen, da diese ebenfalls in den 50er und Anfang der 60er Jahre mit wahrscheinlich giftigen Baumaterialien angelegt worden seien. Die Umweltsenatorin legte gestern jedoch Wert darauf festzustellen, daß zum Zeitpunkt des Baues der Plätze der Spielsand „völlig unproblematisch“ gewesen seien.

Ob es außer Schwermetall- auch weitere Dioxin-Messungen auf öffentlichen bremischen Spielplätzen geben soll, will die Senats-Arbeitsgruppe erst in „sechs bis acht Wochen“ entscheiden. Der Referent für Altlasten, Adolf Pösel, begründete diese Zurückhaltung damit, daß die bisherigen Dioxin-Messungen erst einmal stabilisiert und die Ursachenermittlungen weitergetrieben werden müßten. Seine Behörde stehe vor einem „Berg von Problemen“. Der Bausenator müsse Wohnungsbauprojekte auf Altlasten hin überprüfen, das gleiche gelte für die Stadtwerke und ihre alten Gaswerkstandorte (z.B. Nordausgang Hauptbahnhof). Insgesamt sind in Bremen 4.000 „vage Verdachtsflächen“ mit Altlasten gutachterlich festgestellt, davon wurden aber erst hundert konkret beschrieben. B.D.

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