Unter Aasgeiern

Im Kampf um die Wiederaufbau-Milliarden Kuwaits droht die Kriegsallianz zu zerbrechen/ Windschattenkrieger Major, Mitterrand und Özal geifern um die Reste von Bushs Golf-Mahl  ■ Von unseren Korrespondenten

Der erste Schuß am Golf war noch nicht gefallen, da hatte schon das Gerangel um die Aufträge für den Wiederaufbau begonnen. Dieser Tage scheint sich der anfängliche Streit unter Waffenbrüdern zu einem ökonomischen Kampf auszuwachsen.

An Kuwaits Pfründen könnte die Kriegsallianz zerbrechen. Es geht immerhin um mindestens 150 Milliarden D-Mark. Davon stehe Großbritannien der Löwenanteil zu, argumentiert man in der Downing Street 10. Man habe sich doch als wichtigster, wenn nicht sogar als „einzig ernstzunehmender Bündnispartner der USA“ erwiesen. Auch in Frankreichs Hauptstadt macht man sich zur Zeit die größten Sorgen, ob die eigene Industrie wirklich den Teil vom Wiederaufbaukuchen abbekommt, der ihr nach eigener Auffassung zusteht. So löste in Paris die Nachricht regelrechte Panik aus, daß von den ersten Aufbauverträgen im Werte von 750 Millionen D-Mark zwei Drittel an US-Firmen gegangen sind. Die bereits ausgebooteten Italiener üben sich seitdem vor allem im Racheschwören — und im Austüfteln eingrenzender Strategien, die den mutmaßlichen Kriegsgewinnlern die Freude an der Beute verdürben.

Um diese sicherzustellen, werden unter Leitung des französischen Exportministers Jean-Marie Rausch Anfang nächster Woche die Chefs von etwa 15 Spitzenunternehmen nach Kuwait reisen. Darunter der Welt größter Baukonzern Bouyges, der auch schon Saddams Bunker baute. Die Exportoffensive muß praktisch von null aus gestartet werden. Denn Frankreichs einziger Wirtschaftspartner von Bedeutung in der Region war bislang — der Irak. Bessere Ausgangsbedingungen erhofft sich der türkische Machthaber Turgut Özal. Zwar habe der Golfkonflikt der Türkei ökonomischen Schaden von 14 Milliarden D-Mark zugefügt, errechnete Staatsminister Güneș Taner. Nur etwa sechs Milliarden werden durch Hilfe und Kredite an die Türkei wettgemacht. Doch nach Meinung von Staatspräsident Özal hat sich die Golfpolitik der Türkei trotzdem gelohnt. „Die Türkei hat es zu großem Ansehen gebracht“, verkündete Özal. Er habe mit dem Emir von Kuwait geredet und beim Wiederaufbau solle türkischen Bauunternehmern Priorität eingeräumt werden. Außerdem sei die Modernisierung der türkischen Armee durch die USA beschlossene Sache.

Hauptsorge der Regierung in Ankara ist, daß sich durch das politische Vakuum in der Nach-Saddam-Ära ein unabhängiger kurdischer Staat im Nordirak herausbilden könnte. Dies will Özal um jeden Preis verhindern, weil ein unabhängiges Kurdistan wie ein Magnet auf die zwölf Millionen Kurden, die in der Türkei leben, wirken würde. Um das Schlimmste zu verhindern, versucht sich Özal nun mit prowestlichen, gemäßigten kurdischen Führern zu arrangieren. Kulturelle Autonomie für die Kurden im Irak, abgesichert durch eine Garantieerklärung der Türkei für das neue politische System wäre denkbar.

Zu gerne würde Özal auch mit am Tisch sitzen, wenn die durch Waffen erzwungene politische Neuordnung der Golfregion festgelegt wird. Doch die Türkei wird wahrscheinlich außen vor bleiben. Anders als Fran¿ois Mitterrand, der für seinen Sitz am Tisch der Sieger einen Gutteil des französischen Renommées im Maghreb geopfert hat. Aber für den französischen Staatspräsidenten kam der Golfkrieg nach der Kohlschen Wiedervereinigung wie gerufen. Endlich durfte „Frankreich“ wieder seine „Rang“ einnehmen und in seiner alten Rolle als Alliierter ohne europäische Krücken Weltpolitik betreiben. Durch seine Beteiligung an der Koalition hält Mitterrand Frankreichs ständigen Sitz im Sicherheitsrat für neu legitimiert. In seiner Fernseherklärung am Sonntag forderte der Staatspräsident nicht eine gemeinsame europäische Nachkriegspolitik am Golf, sondern eine Sitzung des UN-Sicherheitsrates auf Staatschefebene. Das Europa der Zwölf wurde mit keinem Wort in der Ansprache erwähnt — vor einem halben Jahr wäre dies noch undenkbar gewesen.

Unter Schirmherrschaft der UNO sollen, so Mitterrands Position, zur Frage der Sicherheit Israels, zum Kurden- und Palästinenserproblem (Frankreich befürwortet einen Teilstaat Palästina) und zum Libanon Konferenzen abgehalten werden. Ebenfalls im Sicherheitsrat soll über die zukünftige Rüstungskontrollpolitik in der Region nachgedacht werden. Wie der Berater Mitterrands für den Nahen Osten, Edgar Pisani in einem taz-Gespräch (taz vom 18.12. 1990) erklärte, ist Frankreich bereit, sich als einer der größten Waffenexporteure einer allgemeinen Kontrolle zu unterziehen. In Washington wiederholte Außenminister Dumas letzten Donnerstag, daß in Zukunft „eine regionale Herangehensweise“ an die Stelle einer nationalstaatlichen treten müsse.

Im Londoner Unterhaus, das den Krieg gegen den Irak in seltener Einmütigkeit unterstützt hatte, traten am Wochenende zum ersten Mal Meinungsverschiedenheiten darüber auf, wie der Frieden im Nahen Osten dauerhaft gesichert werden könne. Zwar stimmte man darin überein, daß der Irak zur Zerstörung sämtlicher Scud-Raketen sowie chemischer und biologischer Waffen gezwungen werden müsse. Doch während die Opposition aus Labour Party und liberalen Demokraten eine internationale Konferenz auf der Basis der UN-Resolution 681 zur Palästinenserfrage befürwortet, steht die Tory-Regierung auf Seiten Bushs. Der US-Präsident plant bilaterale Abmachungen, wie etwa zwischen Syrien und Israel.

Mit solcher Rückendeckung wagte Außenminister Hurd auch dem UN-Generalsekretär zu widersprechen. Hurd bezeichnete Sanktionen als „lebenswichtigen Hebel“, um sicherzustellen, daß Saddam den „internationalen Verpflichtungen“ nachkomme: „Sanktionen sind jetzt viel wirksamer, als sie es zwischen August und Januar waren“, sagte Hurd. „Die Iraker können ohne Ölgelder und internationale Technologie nicht mit dem Wiederaufbau ihres Landes beginnen.“ Auch sein Chef, der Kriegsheld Major, machte kein Hehl daraus, daß er den Sturz Saddams gerne sehe. Bis dahin sei die Stationierung einer bestimmten Zahl alliierter Truppen am Golf notwendig.

Als erster westlicher Regierungschef flog Major am Dienstag nach Moskau. Dabei gestand er Sowjetpräsident Gorbatschow zu, bei der Suche nach einer Lösung im Nahen Osten miteinbezogen zu werden. Auch innenpolitisch ist der Premierminister der große Gewinner des Golfkriegs. Laut Meinungsumfragen ist er — gerade erst 100 Tage im Amt — der beliebteste Regierungschef, seit es überhaupt Meinungsumfragen gibt.

In Italien überwiegt der Katzenjammer — aus heiterem Himmel hereingebrochen über den Stiefel, obwohl die Politiker sich einig waren, daß man sich voll anerkannt am Siegertisch niederlassen könne: Bereits Tage vor Kriegsende hatten sich dunkle Wolken zusammengebraut, als die Engländer Italiens acht Tornados und drei Kriegsschiffe als „eher symbolischen Beitrag“ abqualifiziert hatten. Dann die schallende Ohrfeige, als nahezu alle anderen Außenminister — die „deutschen Nichtmitmacher“ inklusive — vor De Michelis bei Bush zu Konsultationen vorsprechen durften.

Seitdem wird auf Rache gesonnen. Vordringlichkeit für den Wiederaufbau Kuwaits? Nichts da: Die bereits vor dem Krieg malträtiert und am Boden zerstörten Regionen wie der Libanon müßten jetzt erst einmal bedacht werden. Demonstrativ hält De Michelis auch am Plan einer Mittelmeersicherheitskonferenz fest — bei der „vor allem, oder am besten ausschließlich, die Anrainerstaaten“ geladen werden sollen. In jedem Falle aber soll die Veranstaltung unter italienischer Hegemonie stehen: Dem wichtigsten Konkurrenten, weil auch Anrainer, Frankreich, hat Craxi bei mehreren Begegnungen mit Mitterand bereits das konkrete Angebot einer „Aufteilung der Interessenssphären“ gemacht: Danach hilft Italien den Franzosen, die US- Amerikaner und Engländer im Irak und in Kuwait politisch und wirtschaftlich zurückzudrängen, wofür Italien neben dem Libanon den Iran und die Südflanke der Krisenregion, speziell das eben vom Bürgerkrieg genesende Somalia und Äthiopien als Einflußzone erhält.

Ralf Sotscheck

Alexander Smoltczyk

Werner Raith

Ömer Erzeren