piwik no script img

Die Anderen

■ Moskowskije Nowosti-betr.: Gorbatschow

Betr.: Gorbatschow

Ist es ihm gelungen, sich auf die Intellektuellen zu stützen, sich ihrer Gedanken zu bemächtigen? Bleibt die Linie seiner Bewegung unverändert? Erteilt er denjenigen, die die gesellschaftliche Entwicklung wieder umkehren möchten, eine Abfuhr? (...) Auf dem Tisch liegt eine Zeitung mit der jüngsten Rede Gorbatschows vor den Wissenschaftlern und Kulturschaffenden in Weißrußland — auch hier lauter Fragezeichen.

Gorbatschow erklärt: „Der Demokratisierungsprozeß wird fortgesetzt.“ Aber mit wem? Die heutigen demokratischen Bewegungen passen ihm nicht. Nicht Jelzin oder Popow, es geht ja nicht um konkrete Personen, alle Demokraten, die er mit dem Prädikat „sogenannte“ versieht. (...) „Parolen (...) werden als Deckung für weitreichende Ziele benutzt, die in einer Reihe von Fällen in fremden wissenschaftlichen Zentren und in fremden Köpfen entstanden sind. Also braucht sie jemand anders und nicht wir.“ Diese Worte sind aus dem offiziellen Text entfernt worden. (...) Die Beschuldigungen, aber auch Handlungen, zu denen sie logischerweise aufrufen — all das ist schmerzlich vertraut. Ein Schluck Freiheit hat gereicht, und schon wurden die Parolen falsch, und die Demokraten wurden eingeschlossen — vorläufig noch in An- und Abführung.(...)

Nach einer scharfen Wendung in Richtung des Konservatismus und der gewaltsamen Ordnung ist Gorbatschow im tiefsten inneren überzeugt — ich zweifle nicht im geringsten daran — daß er den vorübergehendend und nach seinen Vorstellungen erzwungenen Schwenk wieder geradebiegen kann. Wie jeder Flieger im Sturzflug überzeugt ist, er würde wieder hochkommen. Aber nicht jeder schafft es.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen