: Das „Vietnam“ der Friedensbewegung
US-Friedensbewegung war gegen die Macht von Militärs, Medien und Weißem Haus ohne Chance ■ Aus Washington Rolf Paasch
Es war am Sonntag nach dem schnellen Ende des Bodenkriegs. Mehrere Hundert Anhänger der Friedensbewegung hatten sich entlang der P- und 16th Street versammelt, um zwischen dem abgesperrten Ziegelbau der irakischen Botschaft und der Residenz des Siegers im Weißen Haus eine symbolische Menschenkette zu bilden. Doch die eigentliche Symbolik dieser Post-bellum-Protestaktion war unbeabsichtigt: Die Glieder der Menschenkette reichten bei weitem nicht aus, um beide Gebäude miteinader zu verbinden. Wie so viele Aktionen der amerikanischen Friedensbewegung so war auch diese letzte Demonstration gegen den Golfkrieg zu kurz geraten, um im nationalen Bewußtsein irgendwelche Spuren zu hinterlassen.
Dabei hatte es für die Friedensbewegung zu Beginn des Golfkonflikts gar nicht so schlecht ausgesehen. Die Mobilisierung der Leute, die während des Vietnamkriegs Jahre in Anspruch genommen hatte, war bereits in den Monaten September und und Oktober vielversprechend angelaufen.
Überall im Lande wurde für Sanktionen und gegen den Einsatz militärischer Gewalt demonstriert. Der Slogan „No Blood for Oil“ schien selbst bei vielen Durchschnittsamerikanern anzukommen. Gut, da war die frühe Spaltung der Bewegung in die wenig Saddam-kritischen Anti- Imperialisten auf der einen und die friedensbewegten Realisten auf der anderen Seite. Dieser Widerspruch wurde allerdings damals nur innerhalb des harten Kerns der Friedensaktivisten ernst- und wahrgenommen.
Doch generell schien man aus den Erfahrungen des Vietnamkriegs gelernt zu haben. Statt sich den schwerwiegenden Vorwurf eines mangelnden Patriotismus auszusetzen, gab man sich diesmal am Schicksal der Kriegshandwerker interessiert. „Unterstützt unsere Truppen“ und „Bringt sie nach Hause“ so der ungewöhnlich solidarische Tenor der Friedensdemonstranten mit Mitgliedern der Streitkräfte. Sogar die Medien berichteten pflichtgemäß, wenn auch kurz und plakativ, von den Versammlungen besorgter Kriegsgegner zwischen Los Angeles und Washington, D.C.
Aber dann begannen die Dinge schief zu gehen. Der in den USA traditionell weite Abstand sozialer Bewegungen vom realpolitischen Prozeß wurde der Friedensbewegung in dem Moment zum Verhängnis, als Präsident Bush daran ging, den US- Kongreß mit einigen geschickten Schachzügen vom Entscheidungsprozeß am Golf auszuschließen. Weder unter den Abgeordneten noch unter den Aktivisten gab es am 8. November einen Aufschrei, als George Bush mit der verfügten Verdopplung der amerikanischen Truppen am Golf, die Vorentscheidung für den Krieg fällte. Ohne einen Transmissionsriemen zwischen offizieller Politik und Friedensbewegung, wie etwa die Grünen in der Bundesrepublik, kam der politische Dialog zwischen gefoppten Parlamentariern und marginalisierten Protestlern nicht zustande.
Mit ihren scheinbar so eingängigen Formeln „Kein Blut für Öl“ und „Bringt die Truppen nach Hause“, so meint heute James Zogby vom „Arabisch-Amerikanischen Institut“, habe die Friedensbewegung ihre Einflußlosigkeit selbst verschuldet. Das Ignorieren der Tragödie Kuwaits als dem fortschrittlichsten unter den Golfstaaten, so argumentiert der einstige Wahlhelfer des demokratischen Präsidentschaftskandidaten Jesse Jackson, sei nicht nur politisch dumm sondern auch rassistisch gewesen. „Die sogenannte Friedensbewegung“, so Jackson, „hat hier die Rhetorik rechter Kreise übernommen, in der Araber als kleine fette Barbaren mit zuviel Reichtum dargestellt werden.“ Stattdessen hätten die Friedensaktivisten besser mit dem Plädoyer für eine beschränkte US- Truppenpräsenz am Golf die Position von Außenminister Baker und anderen gestärkt, die für die Entsendung eines gewissen Truppenkontingents zur Unterstützung der Sanktionen eingetreten seien.
Doch die Friedensbewegung verschlief nicht nur die Kongreßdebatte, sondern kam auch mit ihren geteilten Massendemonstrationen vom 19. und 26. Januar zu spät zum Krieg. Mit Beginn der Feindseligkeiten war die Dynamik des „Laßt uns diesen Krieg jetzt schnell hinter uns bringen“ in der Öffentlichkeit nicht mehr aufzuhalten; eine Dynamik, die sowohl durch die annähernd opferlosen militärischen Erfolge der Amerikaner wie das nicht gerade hilfreiche Brutalo-Verhalten des Saddam Hussein noch verstärkt wurde. Selbst einige Tausend tote US-Soldaten, so ist im Nachhinein anzunehmen, hätten an der breiten Unterstützung der amerikanischen Öffentlichkeit für eine schnelle Durchführung dieses Kriegs kaum etwas geändert.
Bald verkamen die Kurzeinblendungen von plakateschwingenden Demonstranten in San Francisco und New York zum bunten Rahmen für die euphorische Kriegsberichterstattung der TV-Networks. Auf das, was die Kriegsgegner noch zu sagen hatten, hörte angesichts des Fluglärms in Saudi Arabien schon lange keiner mehr.
Gegen die uniformierten Propaganda- und Werbefachleute in Ryad und Washington wirkten die nur mit ihrer Moral bewaffneten Peaceniks wie Spielverderber. Gegen diese beste Kriegsinszenierung aller Zeiten durch Militärs, Medien und die Macher im Weißen Haus hatte die Friedensbewegung, so wie sie war, einfach nichts mehr zu bestellen. „Die Opposition gegen den Krieg“, so formulierte es ein Politologe, der sich mit der öffentlichen Unterstützung von Kriegen beschäftig, „ist in diesem Krieg deklassiert worden.“
Wenn der Golfkrieg jetzt zu einem „Vietnam“ der amerikanischen Kriegsgegner geworden ist, bleibt nur zu hoffen, daß sie aus dieser negativen Erfahrung so eindrucksvoll ihre Konsequenzen ziehen werden, wie die andere Seite aus ihrer militärischen Niederlage in Vietnam.
Vor allem auf den Gebieten der Strategie, Logistik und Selbstdarstellung kann die amerikanische Friedensbewegung von ihren in jeder Hinsicht siegreichen Militärs noch eine ganze Menge lernen.
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