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Konzept für Rostocks Werften nicht in Sicht

Rostock — acht Monate nach der Währungsunion: Ein aussichtsloser Kampf um Arbeit und Zukunft/ Der Werftenmetropole droht der arbeitsmarktpolitische Kollaps/ Das Bremer Modell als Vorbild ist kaum mehr als ein Hoffnungsschimmer  ■ Aus Rostock H. Bruns-Kösters

Rostock — Dierckhoher Damm: Linker Hand, am Ufer der Warnow, liegt ein großes, heruntergekommenes Industriegebiet. Kein Mensch ist zu sehen zwischen zerfallenden Hallen, alten Kränen und Halden von Baumaterialien. Einzig die Zigarettenreklamen auf den großen Plakatwänden vor den Zäunen bringen Farbe ins Bild — amerikanische Cowboyromantik vor sanierungsbedürftigen Wohnblocks. Industrieller Plattenbau: das Arbeitsamt.

Vor der Tür, hinter der Sachbearbeiter mit Aktenbergen kämpfen, müssen die Arbeitslosen ihre Fleischermarke ziehen. Sie bestimmt die Wartezeit. Jetzt, Donnerstag, um 10.30 Uhr, Nummer 201. Aufgerufen ist die 93. Auf dem engen, etwa dreißig Meter langen Flur, sitzen die Menschen dicht an dicht und starren über die Köpfe ihrer Gegenüber. Geredet wird kaum.

Ende Januar, sieben Monate nach der Wirtschafts- und Währungsunion, spricht die offizielle Arbeitsamt-Statistik von 16.820 RostockerInnen (9,8 Prozent) ohne Arbeit. Doch dies ist weniger als die halbe Wahrheit. Aus der Statistik sind all diejenigen herausgerechnet, deren Arbeitsverhältnisse mit einer dreimonatigen Kurzarbeit Null auslaufen. Das sind noch einmal mindestens genauso viele.

„Es soll niemandem schlechter gehen“, zitiert der 57jährige Peter Grau voller Sarkasmus das Vor- Wahlversprechen des Kanzlers. Grau war bis Juli als Ingenieurökonom bei der Deutschen Seereederei Rostock beschäftigt. Seitdem lebt er von 650 Mark Arbeitslosengeld. An diesem Morgen steht er sich auf dem Amt die Füße platt, um seine angeforderte Lohnsteuerkarte abzugeben. Neben ihm in der Raucherecke wartet Heike Ahlers, bis Dezember Lehrmeisterin in einer Kleiderfabrik — seit Dezember auf Kurzarbeit Null. Ende Februar macht der Betrieb dicht. „Wir sollten eigentlich von einer Westfirma übernommen werden. Doch das hat sich zerschlagen.“ Wie andere Arbeitslose weiß sie momentan kaum, wie sie sich das Lebensnotwendige kaufen kann. Derzeit dauert es Monate, bis das erste Geld ausgezahlt wird. Seit Dezember wartet Heike Ahlers auf die bewilligten 580 Mark.

Es sind nicht nur gewerbliche Arbeitnehmer, die geduldig auf dem Flur der Arbeitslosenverwaltung ausharren. Der Zusammenbruch des Arbeitsmarktes erfolgt auf breitester Front. Da ist die Versicherungskauffrau ebenso wie die Frau, die in Kühlungsborn, einer Hochburg des FDGB-Feriendienstes, in der Tourismusbranche arbeitete: Der Feriendienst hat Konkurs angemeldet. Da wartet das Ehepaar, das 15 Kilometer vor Rostock in Landwirtschaftlichen Produktionsgemeinschaften ihr Auskommen fand: Die dortige LPG Pflanzenproduktion mit weit über 300 Beschäftigten ist komplett auf Kurzarbeit Null gesetzt.

Auf Rostocks Einkaufs- und Bummelboulevard, der Kröpeliner Straße, herrscht Hochbetrieb. Baumaschinen lärmen, der fliegende Sockenverkäufer preist lautstark den niedrigen Preis seiner Ware. Die Leuchtreklamen der westdeutschen Filialisten, von Jean Pascal bis zu Commerz- und Deutscher Bank, wechseln mit den tristen Fassaden der alten HO-Drogerien und Buchläden. Ein Schlachter- und Bäckerladen, der Besitzer aus Hannover, setzt auf westliches Verkaufsambiente. Die Ware ist nichts, die Präsentation alles. An marmorierten Stehtischen drängeln sich die RostockerInnen, um ihren Einkauf mit einem kleinen Snack abzurunden.

Die einheimische Rostocker Händlerleidenschaft muß sich mit bescheideneren Verkaufsmöglichkeiten zufrieden geben. Der Raum ist knapp und teuer. Die Läden in der City gehen vor allem an West-Interessenten, etwa den Spar-Konzern. An ihn vergab die Treuhand 23 der ehemals 27 Konsum-Läden der Stadt.

Das Zentrum für Rostocker AnbieterInnen befindet sich deshalb ein paar Schritte abseits auf einem unbefestigten Platz hinter der Post. Hier hat die Rostocker Marktverwaltung stabile Holzhäuschen aufgestellt. Mietpreis: gut 1.000 Mark im Monat. Die Warteschlange der Miet-Interessenten ist lang. Gehandelt wird alles, was auf dem Verkaufstresen Platz findet. Absoluter Angebotsrenner nach wie vor: elektronische Geräte aller Art, Video- und Musikkassetten.

Bremer Perspektiven

„Ein Beispiel aus Bremen nährt den Funken Hoffnung“, titelt das Lokalblatt ihren Bericht über eine Podiumsdiskussion zur Lage der Werften. Diesen Strohhalm hat einer in die Diskussion geworfen, der es besser wissen müßte: Vorstandssprecher Krackow, Chef der neugegründeten Deutschen Maschinen- und Schiffbau AG, in der alle Werften an der mecklenburgischen Küste zusammengefaßt sind. Krackow behauptet, daß seit 1984 nach dem Niedergang der Bremer AG Weser auf dem dortigen Gelände ein industrieller Standort entstanden sei, auf den die Bremer stolz seien. Daß das vergleichsweise noch gut gerüstete Bremen auch sieben Jahre nach dem Werften- Crash darum kämpft, seine industrielle Struktur umzustellen, erwähnt er nicht.

Doch Rostocks Schiffbauer sind skeptisch. Erst in Umrissen ist erkennbar, was auf sie zukommt, doch für die Stadt, für die ganze Region, wird sich die Katastrophe kaum mehr vermeiden lassen. Rund 10.000 RostockerInnen finden auf der Warnow- und der Neptun-Werft Arbeit. Ob einer der Produktionsstandorte ganz geschlossen oder der Kahlschlag auf beide Werften verteilt wird, scheint noch offen. Doch von den 60.000 Arbeitsplätzen in der Zulieferindustrie sind noch einmal mindestens 30.000 bedroht.

„Wenn Sie uns dichtmachen, ist alles tot“, sagen denn auch immer wieder die Betriebsratsvorsitzenden, die auf der Demo vor dem Rostocker Rathaus das Wort ergreifen. 35.000 sind gekommen, die Stimmung ist gedrückt, nicht kämpferisch. Ein Konzept wird gefordert für „Arbeit und Zukunft“ für die mecklenburgische Küste. Ein Konzept, das derzeit niemand geben kann.

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