: Laurel Aitken
■ Session mit dem Sensenmann
Wenn einer wie Laurel Aitken »The Godfather of Ska« genannt wird, ist es eine Vermessenheit, ihn auf das musikalische Handwerk hin zu durchleuchten. Bei Johnny Cash interessiert es ja auch gleich null, ob er »Walk the Line« heute eineinhalb Tonschritte tiefer intoniert, oder ob Elvis mit »In the Ghetto« eine unheimlich bedenkliche Text/Ton-Schere betreibt, Du, weil der Song ist ja eigentlich traurig und so...
Punktum, Klatsch, Chronik, Geschichte und Gerüchte von den Stars der Szene sind einschlägiger als kritische Askese. Es soll sein: Erotik, Helden, Service, wie gehabt alles, nur kein Reich der Sinne.
Bei Laurel Aitken beginnt die Geschichte damit, daß er als elfjähriger Steppke mit seiner Familie von Kuba nach Jamaika auswanderte und dort bei einer Calypso-Band als Sänger anheuerte. Die verdiente ihr Geld damit, im Hafen den ankommenden Übersee-Touristen eine zünftige Folkore vorzulegen, so etwa wie die hula-kreisenden Hawaii-Begrüßungsmädchen aus der örtlichen Agentur mit Sitz in Los Angeles. So ließ er als Immigrant die reine Einheimischenbeschaulichkeit heraushängen, um mit dem Folkloreschwindel die Dollars der Weltmänner einzusacken. Danach verwischte Aitken die Spuren noch weiter, mischte Calypso und Rhythm & Blues, und heraus kam Ska, populäre Tanzmusik, hitparadentauglich. Schlitzohr Aitken schaffte den Sprung an die jamaikanische Spitze, war erster Popstar der Insel, das erste eigenständige Erzeugnis der amerikanischen Kulturkolonie.
Und schon war er wieder verschwunden, nach England in die Sixties, wo er die dort aufkeimende Mod-Szene in den Beat von Übersee einführte. Vor allem aber zum Idol der Rude Boys und Skinheads mutierte, einer Szene also, die dem Commonwealth- Gefüge mitunter mit dem Schlagring entgegentrat. Und dieser clevere Laurel gab den Ton dabei an und kannte nur Verachtung für die Rassisten. In seiner Band begleiteten ihn dennoch gerade deshalb fast ausschließlich weiße Musiker, von der Posaune bis zur Orgel, ob die Potato 5 oder die Berliner Butlers. Mit den Butlers gewährte er schon im letzten Jahr eine Audienz, nachdem ihm zuvor auf den Berlin Independence Days der Lorbeer gereicht worden war.
Man mag seinen Augen nicht trauen, sieht man den derweil 62jährigen im Anzug, mit Sonnenbrille und Porkpie-Hut auf einer Triumph dahinrasen, immer auf dem Weg ins nächste Abenteuer. Das Gegenteil der Bowie- oder Popschen Frühvergreisung, ohne Angst, daß der Tod anklopfen könnte. Und wenn, müßte er verdammt verdammt gut tanzen können, dann würde Laurel Aitken vielleicht auf eine Session mit nach unten kommen. Harald Fricke
Um 21 Uhr im Ecstasy
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