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Zirkus bei »Voller Ernst«

■ John Drysdale — Funny Photos Made in England

»Kurios und Gnadenlos« war der Titel einer Foto-Ausstellung in der Kreuzberger Galerie am Chamissoplatz zum Jahreswechsel 84/85. Veranstaltet wurde die Präsentation skuriller und kauziger Fotos von Ernst Volland, dem ehemaligen Karikaturisten des Satire-Magazins Pardon. Die Resonanz auf die Ausstellung war riesengroß, und selbst der begleitende Katalog erfreute sich reißenden Absatzes. Bereits 1987 wurde die zweite, inzwischen auch wieder vergriffene Auflage dieser wohl ersten Dokumentation der modernen Fotosatire publiziert.

Da Volland seit der Einstellung von Pardon im Jahre 1983 ohnehin nach neuen Aufgaben suchte, lag es nahe, aus der Marktlücke auch Kapital zu schlagen. Zusammmen mit seinem heutigen Partner, dem Pressefotografen Heinz Krimmer, gründete er Mitte 1986 die weltweit erste Foto-Agentur, die sich ausschließlich um den Vertrieb humoristischer und satirischer Fotografien bemüht.

Zuvor hatte Volland mit krakeligen Zeichnungen und bissigen Fotomontagen einen Namen zumindest unter linken Satire-Liebhabern erworben. Gerade seine originalgetreuen Persiflagen zur Alkoholwerbung in Pardon hatten zu Beginn der Achtziger einigen Wirbel verursacht. So war es schließlich das Bekenntnis eines säugenden Kleinkinddes »Ich trinke Jägermeister, weil meine Mami voll davon ist«, das den Likörschnaps-Fabrikanten, Günter Mast, zur Rage brachte. Beim Hamburger Landgericht klagte er erfolgreich auf Unterlassung und erwirkte obendrauf eine Gegendarstellung in dem Satire-Magazin.

Insgesamt arbeiten heute über 600 Fotografen mit der Agentur »Voller Ernst« zusammen. Die Berliner Foto-Makler bemühen sich dabei um den Weiterverkauf der Bilder an Presse und Werbefirmen. Diese Wandlung vom einstigen Werbe-Kritiker zum Reklame-Lieferanten begründet Volland mit dem Wandel seines persönlichen und politischen Weltbildes. Heute jedenfalls begreift er Werbung eher als eine kreative Kunstform. Nur die Vermarktung von Zigaretten und Waffen, so schränkt er ein, will er auch heute noch nicht unterstützen.

Im April letzten Jahres zog die Agentur aus ihrem engen Wilmersdorfer Domizil in eine geräumige Ladenwohnung, wo sie seither auch eine Foto-Galerie betreibt. Seit vergangenem Sonntag sind dort die Bilder des Engländers John Drysdale zu sehen. Während von vielen Fotografen nur einzelne oder wenige Werke bei »Voller Ernst« archiviert sind, vertreibt der 1929 in Uganda geborene Drysdale mehr als 500 Fotos über die Witz-Agentur. Nach seinem Studium an der damals besten englischen Fotografie- Schule Guilford College hat Drysdale neben Auftragsarbeiten für die britische Royal Family auch zahlreiche Fotografien in Vogue und im Life-Magazin veröffentlichen können.

Nicht Schnappschüsse, sondern Inszenierungen von Tieren in publikumswirksamen Posen dominieren die Ausstellung. Ein lasziv auf dem Flügel liegender Löwe, der eine hausmusizierende Upper-Class-Dame begleitet, ein Braunbär, der beim Anschieben des Autos aushilft, oder ein Hund mit Lockenwicklern unter der Trockenhaube entwickeln so platt vermenschlicht einen Witz, der bestenfalls noch Zirkus-Niveau erreicht. Richtig peinlich wird's freilich erst, wenn Drysdale seinen vielleicht schon senilen Päderasten-Humor zu Markte trägt. Während Töchterchen Mamis Brautkleid anprobiert, gibt ausgerechnet ein Spiegel den unbekleideten Popo des Mädchen voyeuristisch zur Betrachtung frei. Die besten Momente hat Drysdale eigentlich nur, wenn er mit sarkastischem Blick seine britischen Mitmenschen ablichtet, die beispielsweise eine Gartenhecke in Sofaform zurechtschneiden, um sich später in ihr ausruhen zu können.

Andreas Kaiser

In circa vier Wochen soll im Zinnober-Verlag ein Band mit den wichtigsten Arbeiten des Engländers erscheinen. Zu sehen sind die »Funny Photos« noch bis zum 28. April, Insbrucker Str. 37, 1-62, Di-So 12-19 Uhr

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