: 56 Ballberührungen
■ Wahrheiten über Thomas Häßler in unbestechlicher Statistik nach dem 3:1-Sieg von Juventus in Lüttich
Lüttich (taz) — Ist Thomas Häßler zu schwach für Juventus Turin? Oder zu gut für die bislang enttäuschende Multimillionenelf? Kann er mehr? Oder kann er nicht mehr? Läßt ihn der Juve-Trainer fallen? Redet ihn der Allmächtige der Juvenalen (Agnelli/Fiat) wieder ins Team? Formkrise? Sinnkrise? Lebenskrise? Hat er weiter ein Abonnement auf vorzeitige Auswechslung?
Die Medien sind voll von Spekulationen über Ickes Gegenwart und Zukunft (Weiter Juve? Wieder Köln? — Rutemöller: „würde ihn persönlich abholen“. Oder gar zu Bayern? — Heynckes: „Willkommen“) Branchentypische Kaffeesatzleser, Meinungsspekulanten und Sensationsschreiber beherrschten die vergangenen Wochen. Schluß damit. Die tageszeitung präsentiert die Wahrheit.
Die Wahrheit in Zahlen. In unbestechlicher Statistik. Thomas Häßler im Europacup-Viertelfinale beim FC Lüttich, ein Spiel, das Juve leicht und locker mit 3:1 gewann (Traumtore von Baggio und vor allem von Julio Cesar im Stile von Lothar Emmerich anno 1966). Die detaillierte Thomas-Häßler- Statistik ist so unbestechlich wie bestechend, atomuhrgenau und aussagekräftiger als jedes Fußballanalyselatein. Es wird Zeit, Fakten sprechen zu lassen. — Schließlich zittert die Nation um einen ihrer Weltmeister. Vom DFB waren eigens die Trainer Bonhof und Löhr angereist. Sie werden dem kleinen Teamchef Berti folgendes berichten können:
Tore Häßler: 0. Damit bleibt er weiter seit über einem halben Jahr und 2.881 Spielminuten (inklusive diverser Nachspielzeiten) ohne Treffer. Vorlagen zu Toren: 0. Aber auch — Eigentore: 0. Aber jetzt — Kopfbälle: 1. Foulspiel: 1. Aufhelfen gefoulter Gegner: 1 — somit Fairneß-Quotient 100. Hackenpaß: 1 (zum Mitspieler, somit Applaus). Abseitsstellung: nur 1. Rückpaß zum Torwart: 1. Leicht bandagierter Oberschenkel: 1 (links). Spektakulärster Sturz des Spiels in die Bandenwerbung „T-Shirt Gymnasium“: Häßler. Letzte Ballberührung des Spiels: Häßler.
Kommen wir nach diesen Grunddaten zur detaillierteren Auflistung, mit noch spektakuläreren Daten. Fehlpässe: 7. Eigene besondere Aktionen wie Soli, Torschüsse und gelungene Fernpässe: 7, davon Schüsse aufs Tor: 4, davon gelungen: 3, davon gehalten: 2, davon spektakulär: 1. Häßler hernach: „Der Knoten will nicht platzen. Bei jedem Torschuß steht da eine unsichtbare Wand.“ Weiter — Ball erkämpft: 2Mal. Stutzen hochziehen: 4Mal (zwei rechts, zwei links), Hände in den Hüften: 3Mal.
Auffälligkeiten — statistisch signifikanter Jubelspontaneitätskoeffizient: Bei zwei der drei Tore erster Gratulant beim Schützen (beim 3.Tor: 4. Platz). Desweiteren: 1 unerklärlicher Doppelpoklapser mit Tätscheln (Kopfbereich) des Spielers Nr. 9, Lüttich (Krncevic). Keinerlei meßbare Reaktionen bei Zwischentriumph (68.): Alessio wird eingewechselt — aber nicht für ihn. Häßlers längste Zeit ohne Ballberührung: 9:30 Minuten (8.—18.) Kürzeste Zeit ohne Ballberührung: unter 0:01 Minuten (Doppelpaß). Laufleistung insgesamt: ca. 8,85 km (geschätzt, weil Meßgerät defekt). Entspricht laut Beinlängentabelle für europanormgroßen Kicker etwa 10 km.
Auffallend die Unterschiede bei Ballberührungen — 1. Halbzeit: 18. 2. Halbzeit: 38. (Dabei: 2. Halbzeit bis zur 63. Minute schon 18, damit eins im Minutentakt). Korrelationen — bei 18 Ballberührungen: fünf Fehlpässe oder Ballverluste (Fehlerquotient: 27,8 Prozent). Bei 38 Ballberührungen: 9. (Fehlerquotient: 23,7 Prozent). Seriöse Schlußfolgerung daraus: „Je mehr du tust, desto besser“ nicht möglich wegen zu geringer Differenz.
Schlußbetrachtungen: Kabine aufsuchen, dieselbe finden, darin umziehen, duschen, inklusive Haareföhnen: 31 Minuten. Auskunftsfreude dann: mäßig. Blässe im Gesicht: arg. Appetit: groß — auf Spaghetti (Eigenaussage). Motivationsgrad: „Sehr groß, weil es schön ist, mal wieder so nah an Köln zu spielen“ (Luftlinie zum Dom: exakt nur 128.4 km). Zukunftsgedanken: „Habe Vertrag für vier Jahre. Zu München gehe ich erst recht nicht.“ Und die Quintessenz aus all dem? — Ansichtssache! Aber Statistik lügt nie. Bernd Müllender
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